Die Enden der Welt
wohnten die Sklavenhalter in der Beletage, gut eingerichtet und komfortabel, erreichbar über eine wie von Antoni Gaudí geschwungene Freitreppe in Altrosa. Vom Salon unter der massiven Holzdecke ging der Blick durch das große Fenster über den Balkon auf den Ozean.
Darunter, nur durch ein paar Bretter und Balken getrennt, lebten zusammengepfercht und angekettet die Sklaven. Sie durften ihr Quartier nur verlassen, um zu arbeiten oder verschifft zu werden. Hier wateten sie durch den Kot, der erst entfernt wurde, hatte er einen bestimmten Pegelstand erreicht. Manchmal wurden diese Keller ausgemistet, manchmal auch einfach mit Meerwasser geflutet. Mit einer Paste aus Bohnen und Palmöl hat man die Unterernährten regelrecht gemästet. Von Zeit zu Zeit kam jemand, zog die Toten heraus und warf sie den Haien zum Fraß vor. Die Kranken und Gebrechlichen folgten.
Greta stand und schwieg, alles Gelesene innerlich auf die Wände projizierend. Es kommen viele Menschen nach Gorée, die, angeregt von der Fernsehserie »Roots«, ihre Vergangenheit suchen. Die Serie hat sie als Erstes die Bedeutung dessen gelehrt, überhaupt Ahnen zu haben, und dann, sie von hier zu haben. Es sind Besucher darunter, die bloß staunen, und solche, die sich mit professioneller Hilfe zurückführen lassen, solche, die das Haus berühren, weil sie es »erkennen«, und solche, die plötzlich fühlen, dass sie von hier stammen, die sich auskennen an einem Ort, an dem sie sich leiblich zuvor niemals befunden haben. Es kommen auch sachlichere Menschen hierher, die sich mit geschlossenen Augen in so ein Verlies stellen, die Bilder der Vorzeit eindringen lassen und meinen, jetzt müssten sie heimgesucht, ja überwältigt werden von jenen letzten Bildern, die auch die Sklaven vor ihrer Verschiffung sahen.
Greta bewegte sich in kurzen, stockenden Schritten. Sie fotografierte nicht und richtete keine Videokamera auf das Ensemble. Was für Bilder aber stellen sich ein vor der »porte sans retour«, der »Tür ohne Wiederkehr«, durch die die Elenden zum Laderaum gelangten? Die Menschenhändler ließen sich das schwarze »Ebenholz«, »Ebony«, wie sie die Sklaven nannten, vorführen, prüften Muskeln, Knochen, Zähne, examinierten selbst die mentale Verfassung. Nach dem Kauf wurden die Körper gebrandmarkt, und durch die Aussparung dieser kläglichen Maueröffnung richteten die Verlorenen den Blick auf das Meer. Dann wurden sie in den dicken Bäuchen der Briggs oder Schoner verstaut, den für den Sklaventransport umgebauten Handelsschiffen mit Zwischendecks, die eingezogen worden waren, um für den Transport noch mehr, wenn auch engeren Raum zu gewinnen.
Über eine Planke wurden die Gefesselten in den Schiffsbauch getrieben, wo sie erst die Ladung löschen mussten, worauf man ihnen ihren Platz auf einer der Ebenen zuwies. Kot und Kotze der oben Arbeitenden fielen auf die unten Liegenden. Wer es schaffte, stürzte sich ins Meer, wer nicht, starb oft auf dem Transport. Nicht einmal die Hälfte derer, die in Gorée ablegten, kam am Ende an ihrem Bestimmungsort auf der anderen Seite des Atlantiks an.
Darüber hinaus waren die Sklaven besessen von der Angst, die Europäer könnten sie nach der Überquerung des Atlantiks verspeisen. Als eine Folge dieser Furcht kam es zu Sklavenrevolten, von denen im 18 . Jahrhundert verschiedentlich berichtet wird. Die Rädelsführer der wenigen Aufstände dieser Art wurden öffentlich zu Tode gefoltert.
Aber hatte nicht Ludwig XIV . 1685 als Maßnahme gegen den gesetzlosen Umgang mit den Sklaven den »Code Noir« erlassen, einen Codex, in dem allerdings gerade die Abwertung außereuropäischer Völker ihre Legitimation erhielt? Er bildete die juristische Basis des Sklavenhandels. War damit der rechtsfreie Zustand des Handels auch beendet, so hätte auch die sadistische Willkür nicht anders wüten können als die scheinheilige Rechtmäßigkeit der Paragraphen. Artikel 38 etwa legte fest: Dem entflohenen Sklaven werden beide Ohren abgeschnitten, bzw. eine Lilie wird ihm auf eine Schulter tätowiert, vorausgesetzt, er schafft es, einen Monat auf der Flucht zu bleiben. Bei einem nächsten Versuch werden ihm die Kniekehlen durchgeschnitten, und eine zweite Lilie wird tätowiert.
Außerhalb des Anwendungsbereichs dieses »Code Noir« agierte die Grausamkeit nicht weniger zügellos. Nirgendwo auf der Welt kamen so viele Sklaven auf so wenige Weiße wie in Curaçao, wo die Sitten über alles bisher Bekannte hinaus verrohten.
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