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Die Enden der Welt

Die Enden der Welt

Titel: Die Enden der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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darzustellen. Sie haben einfach den Europäer bräunlich eingefärbt und ihn mit geschwungenen Lippen ausgestattet. Nicht nur scheiterten sie offenbar im Versuch, von sich selbst abzusehen und doch das Vertraute im Fremden zu identifizieren, es gelang ihnen nicht einmal, unverzerrt darzustellen, was sie sahen. Ähnlich entpuppte sich uns beiden Reisenden Gorée als der Ort, der uns naheging, indem er sich entzog, und der sich auf eigentümliche Weise noch einmal näherte, als wir in dem kleinen Boot saßen, das uns nach Dakar hinübertrug, während Gorée sich in Dunst hüllte.
    An der Küstenstraße nach Norden vermehren sich die Tafeln der Aids-Aufklärung und die Kirchen. Die wahren Kathedralen der Dritten Welt aber sind die Tankstellen mit ihren raumgreifenden Installationen, ihren hell leuchtenden Logos, ihrer modernen, windschnittigen, aus dem Orbit kommenden Erscheinung: Ja, sie sind die Repräsentationsbauten der Energiewirtschaft.
    Die Landschaften sind fast überall groß. Der einzelne Baum, das aufragende Hüttendach, die Dünung im Sand, sie sind dazu da, die Horizontale zu betonen. Kleine Windhosen laufen über die Ebene, Jungen mit Stöckchen treiben drei Ziegen. Man hat Sand zwischen den Zähnen. Selbst bei geschlossenem Mund dringt er über die Nase ein. Sehr schmale Pferde, sehr schmale Ziegen trotten am Straßenrand Schritt für Schritt voran, mit wundem Blick für die kargen Felder.
    Die Generationen und die Geschlechter hocken beisammen im Schatten der Rundhütten, und in den Kaufmannsläden sitzt im Regal die Ware, die wunderbarerweise den Weg bis hierher zurückgelegt hat: schmutzig gelbe Kernseifeblöcke, geschichtet, bunte Eimer, Alkali-Batterien, vier Konservendosen voll Ratatouille, ein Plastikgewehr, ein Stapel Karten. Eine Sirene erklingt, ihr Ton senkt sich immer tiefer ab, bis er nicht mehr zu hören ist, und er bleibt unbeantwortet. Vielleicht sind alle diese Töne auf einer ganz niedrigen Frequenz immer noch in der Welt. Mit den Waren ist es ebenso. Sie verflüchtigen sich an den Außenposten der Handelsströme und werden sich irgendwo in der Wüste verlieren.
    Saint-Louis, nahe der Grenze zu Mauretanien, blühte bis 1902 als die erste Hauptstadt des Senegal. Wie Gorée ein Fort, eine militärische Festung an der Küste des damaligen Senegambia, erlebte auch das »New Orleans Afrikas«, wie man die Stadt auf der Insel zwischen zwei Armen des Senegalflusses und nahe seiner Mündung nannte, Aufstieg und Niedergang im Wechsel. Als der bescheidene Ort den Status einer Hauptstadt verlor, verlangten die Einwohner von Saint-Louis fahnenschwenkend den Anschluss an Frankreich. Die Wohlhabenden zogen in die neue Hauptstadt Dakar, die Armen blieben mit den Alten zurück. Die öffentlichen Gebäude ließ man verfallen, wie die privaten Paläste verwahrlosten, das Weiß und das Ockergelb der Fassaden verschoss. Die Farben kamen sich entgegen und trafen sich auf der Mitte eines schmutzigen Tons, dem Teint des Verfalls.
    Die Verbindung zu Frankreich datierte aus dem Jahr 1664 , als die Französische Westindien-Gesellschaft die Konzession erhielt, im Dienste Frankreichs die afrikanischen Kolonien auszubeuten. Rasch entwickelte sich die Stadt zum wichtigsten Verwaltungs- und Handelsort des Kolonialreiches: Kautschuk, Baumwolle, Elfenbein, Goldstaub, Palmöl, Kaffee, Kakao wurden hier umgeschlagen. Der Sklavenhandel blühte, Verwaltungsbeamte und Angestellte der großen Firmen zogen in die ziegelgedeckten, von schmiedeeisernen Balkons gezierten Privatpaläste mit ihren kühlen Innenhöfen. Die französischen Händler und Beamten und die freigelassenen Sklavinnen oder einheimischen Frauen mischten sich. Bald war Saint-Louis die wichtigste Siedlung Frankreichs in Afrika, und in der Tat erwies sich die Lage als ideal: Hier trafen sich die Verkehrswege zum Atlantik, nach Mali, in die Sahara, und auf allen diesen Wegen verschob man Menschen und Waren.
    Immer mehr Kaufleute drängten aus Frankreich heran, um von hier aus Afrika zu erschließen, Bodenschätze zu fördern, Erdnüsse anzubauen, Kautschukplantagen anzulegen und den Menschenhandel zu stimulieren. 1840 wird Saint-Louis die Hauptstadt des Senegal. Doch acht Jahre später ist das Verbot der Sklaverei offiziell, und Frankreich sieht sich im Besitz zweier Sklaveninseln – Gorée und Saint-Louis –, doch entkleidet der Rechte, sie als solche zu unterhalten. Was tun? Soll man aufgeben, sich zurückziehen? Das hieße kapitulieren. Also deklariert man

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