Die Endzeit Chroniken - Exodus (German Edition)
unzähligen Benzin- und Wasserkanister nach unten und möglichst nah an die Passagierkabine, so dass sie bei Heckangriffen durch die restliche Ladung geschützt wären. Diesmal jedoch verstauten sie den Treibstoff zum Schluss und sorgten außerdem dafür, dass das Reisegepäck nicht zu fest saß. Kurz nach Mittag warf Butch den letzten Rucksack auf den Wagen. Der offene Kleintransporter sah normal beladen aus. Niemand hätte vermutet, dass das Equipment für zwei Fahrzeuge bestimmt war. Angel hatte entschieden, mit leichtem Gepäck zu reisen. Sienna lag vier Tagesreisen entfernt und sie wollte möglichst beweglich bleiben, um Hetzjagden wie vor gut drei Wochen zu vermeiden und Treibstoff zu sparen.
Den Nachmittag verbrachte Cassidy gemeinsam mit ihrer Ausbilderin. Sie zeigte dem Mädchen den verminten Pfad, der durch das Felsmassiv südlich von Silver Valley führte und schon einige Überraschungsangriffe vereitelt hatte. Die beiden unterhielten sich über ihre Vergangenheit und Cassidys Bruder. Angel erzählte ihr, wie sie zu einer Vulture geworden war, dass die Gang sie ursprünglich als Sklavin missbraucht und zum Kampf gegen andere Gefangene gezwungen hatte. Es gab keine offene Rekrutierung, bei der man sich einschreiben konnte. Wer in den brutalen Zweikämpfen um ein paar Liter Wasser als besonders stark oder einfallsreich auffiel, dem wurde angeboten, einer von ihnen zu werden. Nachdem man seine eigenen Mitgefangenen für ein Stück Brot erschlagen hatte, fiel es den meisten nicht mehr schwer, auch noch den letzten Schritt zu tun. Angel erzählte ihr, wie schon nach vier Wochen jeder Funke Menschlichkeit verblasst war; wie sie begonnen hatte, es zu genießen. Mit jedem Dorf, jeder Siedlung, die sie überfiel, stumpfte sie weiter ab. Nach kurzer Zeit schlachtete sie Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen; es bedeutete ihr nichts. Nur die Anerkennung ihrer Leute zählte. Je lauter die Schreie, je verzweifelter ihre Opfer um Gnade flehten, desto mehr erregte es sie.
Eine unterbewusste Angst breitete sich in Cassidy aus, als Angel ihr vor Augen führte, wie schnell ein Mensch zu einem Monster werden konnte, wenn man ihn aus seinem gewohnten Umfeld riss und in eine Welt voller Hass und Gewalt hineinzwang. Wann immer sie ihre dunkle Retterin ansah, die beinahe sehnsüchtig von ihren einstigen Gräueltaten berichtete, fürchtete sie um ihren Bruder. Auf ihren gemeinsamen Streifzügen durch die Steppe hatte Caiden oft davon geredet, wie gern er aus ihrem zurückgebliebenen Dorf verschwinden und kämpfen würde. Mit oder gegen wen war ihm dabei eigentlich egal gewesen, solange er nur dem tristen Alltag entkommen könnte. Lediglich die unmenschliche Brutalität der meisten Banden hatte ihn abgestoßen und zurückgehalten, genauso wie bei Angel zu Beginn ihrer Karriere, an dessen Ende sie als Die Schlächterin von Archer Hill galt.
Nach der gleichnamigen Schlacht von Archer Hill ließ Angel die gesamte Red Dragon Gang, die sie vor den Vultures versklavt hatte, aus Rache für das Schicksal ihrer Familie hinrichten. Den einfachen Mitgliedern zeigte sie Gnade und stellte sie vor ein Erschießungskommando. Die Befehlshaber hatten weniger Glück. An Kreuze geschlagen und vor der Heimatfestung der Vultures aufgereiht starben sie einen tagelangen qualvollen Tod. Das schrecklichste Los aber erwartete ihren Anführer, einen Sadisten namens Maroneth, der für seine widerwärtigen Gelüste berüchtigt gewesen war. Der einäugige und von einem Brand entstellte Tyrann wurde unter den Augen seiner befreiten Opfer bei lebendigem Leib in einen Kessel voll kochendem Wasser getaucht, wo er unter Höllenqualen starb. Sein Schädel diente seit jenem Tag als Kühlerfigur des schwarzen Wüstenschlachtschiffs. Eine Mahnung, die bis zum heutigen Tag nicht an Wirksamkeit verloren hatte.
Bei den letzten Details ihrer blutigen Geschichte stürzte Cassidy plötzlich auf den nächstgelegenen Busch zu und musste sich unkontrolliert übergeben; das war zu viel für ihren Magen gewesen. Mit einem schadenfrohen Augenrollen verfolgte Angel das Geschehen und meinte zynisch, dass ihre erste Lektion über das Leben in den Wastelands damit abgeschlossen sei.
***
Als die Abenddämmerung hereinbrach, war das Jubiläumsfest bereits in vollem Gange. Anthony entzündete den Grill und warf ein Steak nach dem anderen auf den Rost. Zwischen den Baracken duftete es verführerisch nach getoastetem Brot. Viele Dorfbewohner saßen schon an den Tischen und
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