Die Endzeit Chroniken - Exodus (German Edition)
unverlangte Berührungen.
»Wer bist du?«, fragte sie erstaunt und legte vorsichtshalber die Waffe beiseite.
»Jesse!«, erwiderte der Junge, während er kichernd mit Scotts Ohren spielte.
»Ist das dein Hund?«
»Nein!«, schallte es dumpf unter Scotts Bauch hervor. Der große Schäferhund hatte inzwischen Gefallen an dem Spiel gefunden und Jesse zu Boden gerungen. »Er gehörte meinem Dad.«
Cassidy fühlte sich von einem Augenblick zum anderen ausgesprochen unbehaglich. Sein Vater war vor einigen Monaten getötet worden und in einem unterbewussten Anflug von Egoismus vermutete sie, dass er ihren neuen besten Freund wohlmöglich zurückfordern wollte. Außerdem sollte sie ihm irgendetwas Nettes sagen, so etwas wie –
»Bitte sag du mir nicht auch noch, dass es dir leidtut und dass alles wieder gut wird«, unterbrach Jesse ihren Gedankengang, nachdem er unter seinem haarigen Versteck hervorgekrochen war.
»Das hatte ich gar nicht vor!«, protestierte das Mädchen so spontan und trocken, dass sie vor sich selbst zusammenzuckte.
»Doch! Hattest du. Jeder sagt mir das.«
Cassidy blickte den Jungen verdutzt an, damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet!
»Wie alt bist du?«, fragte sie ungläubig.
»Zwölf.«
»Lebst du alleine hier?«
»Nein, mit meiner Mom. Als mein Dad zu den Rangern ging, sind wir hierher gezogen. Aber jetzt, wo er tot ist, will sie zurück nach Eagle Village. Meine Großeltern leben dort.«
Der Junge senkte bedrückt den Kopf. Cassidy wusste nicht, ob sie versuchen sollte, ihn zu trösten. Sein Gesicht sah viel älter aus, als er in Wirklichkeit war und seine Augen leuchteten nicht, wie man es bei einem Kind seines Alters vermuten würde. Bevor sie sich entscheiden konnte, unterbrach er ihre Gedanken erneut.
»Ihr geht auf eine große Mission, oder?«
»Nein, nur … auf Patrouille«, stammelte Cassidy und biss sich für ihre Ungeschicktheit auf die Zunge.
»Schlechter Versuch«, seufzte der selbstbewusste Knabe enttäuscht und zuckte mit seinen etwas unterernährt wirkenden Schultern. »Warum halten mich immer alle für ein kleines Kind und denken, ich wüsste nicht, was hier läuft?«
»Naja, du bist … zwölf!«
»Und? Ich hab noch nie gesehen, dass eine Patrouille aus sechs Leuten besteht. Außerdem habt ihr euren Pick-up rückwärts beladen. Ich wette, dass ihr andere Wagen nehmt! Würde mich nicht mal wundern, wenn euch der General die Humvees versprochen hat«, philosophierte Jesse und zog verschmitzt die Mundwinkel hoch, als er bemerkte, wie Cassidy sämtliche Gesichtszüge entgleisten.
»Keine Sorge, von mir erfährt niemand was! Würde mir ja eh keiner glauben.«
»Woher weißt du das alles?«, fragte Cassidy flüsternd, als fürchtete sie, wegen Geheimnisverrat Stubenarrest verpasst zu bekommen.
»Ich bin zwölf, schon vergessen? Mich beachtet nie jemand, selbst wenn ich direkt neben der Tankstelle spiele, während eine Besprechung läuft!«
»Dann hast du den ganzen Plan mitbekommen?«
»Ja, deswegen hab ich ein so ungutes Gefühl, wieder nach Eagle Village zu ziehen. Was, wenn diese neue Gang dort als nächstes zuschlägt? Ich hab versucht mit meiner Mom zu reden, aber sie will unbedingt zurück. Sie meint, es war ein großer Fehler von meinem Dad, ein Ranger zu werden. Ich kann ihr aber nichts von den neuen Typen da draußen sagen. Sie erzählt es nur weiter und schon gibt‘s eine Massenpanik.«
Cassidy stockte der Atem. Stirnrunzelnd wiederholte sie die Frage nach seinem Alter, woraufhin der Junge stolz lachte.
»Mein Vater hat mir viel beigebracht, bevor ihn diese Schweine umgebracht haben. Wir waren oft zusammen mit Scott in der Steppe, manchmal für mehrere Tage!«
Trauer und Wut spiegelten sich in seinen braunen Augen, weshalb Cassidy sich entschied, ihn von dem Thema abzulenken.
»Wo liegt Eagle Village?«, fragte sie neugierig. Sie kannte sich in den Wastelands ja immer noch kaum aus.
»Das ist ziemlich weit im Norden, kurz vor dem großen Gebirge.«
»Hm, vielleicht kann ich dich da besuchen kommen. Wann fahrt ihr denn los?«
»In zwei Tagen, soweit ich weiß. Eines der Ranger Teams will nach White Rock, jetzt wo Kim uns einen Fuß in der Tür beschert hat, und das ist nordöstlich davon«, antwortete Jesse. »Tust du mir einen Gefallen und passt gut auf Scott auf? Er ist ein einmaliger Hund und wird dich nie im Stich lassen!«
»Versprochen. Es wird ihm an nichts fehlen!«, schwor Cassidy mit feierlich erhobener Hand. Ihr kullerte gerade
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