Die Endzeit Chroniken - Nemesis (German Edition)
eine Schwester zu richten, wie es Sydney gestern über Scarlet getan hat. Hin und wieder heißt es aber auch, Frieden zu schließen und Bündnisse zu schmieden, die zuvor für unmöglich erachtet wurden; wie zwischen den Sicarii und der Ian-Hawk Biosphäre. Oder zwischen dir und mir.«
Angel ließ ihre Worte einsinken, ehe sie eine Antwort formulierte. »Hasst ihr das Imperium?«, hatte Svetlana gefragt. Hass kann einem Menschen großen Mut verleihen und unsagbares Leid anrichten; das wusste Angel aus eigener Erfahrung. Als sie mit dem Flüchtlingskonvoi aus Jaguar Bay aufgebrochen war und die qualmenden Ruinen der einst stolzen Siedlung hinter sich gelassen hatte, wäre ihre Antwort zweifelsohne Ja gewesen. Ja, aus ganzem Herzen! Mit jeder Faser ihres Seins hatte sie die Sicarii für ihre Taten bezahlen lassen wollen. Nicht für die Auslöschung der Freien Enklaven, sondern für ihre Arroganz und ihren Übermut. Dafür, dass sie über ihr Land und ihr Volk hinweggefegt waren, ohne sie überhaupt wahrzunehmen!
Dann war Jade plötzlich um sie herumgetänzelt, hatte ihr Dog zurückgegeben und einen Ausweg gezeigt. Von einem Augenblick zum anderen war sie wieder ins Spiel gebracht worden. Mit jedem Tag, jeder Reise und jedem Gespräch erhielt sie mehr von dem Respekt zurück, den ihr das Imperium bei seiner Invasion geraubt hatte. Das Auctoritas-Amulett, der inszenierte Überfall an der Schlucht, der Besuch in der Biosphäre und der Demut der Soldaten von Arnac. Den vorläufigen Höhepunkt erlebte sie in der heruntergekommenen Stadt, als nicht nur eine Bacchae, sondern gleich zwei ihre Unterstützung forderten. Ob mit Jades Katana an ihrem Hals oder Scarlets Stimme in ihrem Ohr spielte dabei keine Rolle. Beide waren auf sie angewiesen. Der ganze Rat der Bacchae, ganz Alexandria und nun das einst so arrogante Imperium warben um ihre Gunst. Niemand wagte es mehr, sie zu ignorieren!
Jetzt befand Angel sich wieder in der Position, für die sie das Martyrium als Sklavin und die Jahre als Feldherrin auf zwei Seiten vorbereitet hatten: An der Spitze einer Armee und an den Hebeln der Macht.
»Franks letzter Auftrag war es, sein Volk in Sicherheit zu bringen«, sagte sie ernst. »Er hätte sich wohl kaum vorstellen können, dass ich sie direkt in eure Arme treibe.« Angel stoppte und hielt Jade am Arm, während sie ihren Blick über den grünen Sophiaplatz, den Tempel und die Universität streifen ließ. »Aber wenn du mich noch einmal hintergehst oder mir irgendwelche Halbwahrheiten auftischt ...«
»Und du bist dir sicher, dass in dir nicht doch eine Politikerin wie Svetlana steckt?«, neckte Jade sie, ohne die Drohung persönlich zu nehmen.
»Es gibt vieles, was du noch nicht über mich weißt«, entgegnete Angel.
»Wie deinen echten Namen?«
»Zum Beispiel.«
»Meinetwegen. Behalt deine Geheimnisse. Ich werd sie schon früh genug erfahren.«
Angel blickte müde gen Himmel. »Schon nach Mitternacht. Hast du noch irgendwas, das du mir unbedingt zeigen musst?«
»Mh-hm«, murmelte Jade ausweichend. »Eine Sache. In deinem Quartier.«
»In meinem ...? Was ist da?«
»Ich dachte, dich würde vielleicht interessieren, was der Rest von deiner Spionageeinheit heute erlebt hat.«
Angel ergab sich der Versuchung, überlegen zu lächeln. Natürlich hatte sie Cassidy und Dog aufgetragen, Augen und Ohren für den Krieg offenzuhalten; Waffenstillstand hin oder her. Ebenso wenig überraschte es sie, dass Jade genau davon ausging, als sie ihnen den Fahrstuhl im Haus der Diplomaten rief.
»Ob sich Dog von dem Müsli erholt hat, mit dem Clarissa ihn vergiften wollte?«
»David wird ihm schon was anständiges vorgesetzt haben«, wiegelte Jade ab und drückte den Knopf zum Obergeschoss. »Der kann das Zeug auch nicht ausstehen. Aber anders lassen sich ein paar tausend Kinder nicht ausgewogen ernähren. Svetlana und ich haben damals Früchte vom Markt gestohlen und dazugetan.«
»Ich dachte, ihr konntet einander nicht leiden?«
»Konnten wir auch nicht, aber sie ist ein Naturtalent im Ablenken und ich im Stehlen. Not schweißt eben zusammen«, erklärte Jade und stieg aus dem Fahrstuhl. »Die ersten Wochen hat sie versucht, mich bei der Aufteilung der Beute übers Ohr zu hauen, bis sie verstanden hatte, dass ich des Rechnens durchaus mächtig war.«
Mit diesen Worten öffnete sie die Tür. Dabei wunderte es Angel überhaupt nicht, dass Jade ebenfalls einen Schlüssel hatte. Wahrscheinlich passte er in alle Schlösser des
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