Die Endzeit Chroniken - Nemesis (German Edition)
die Tiere und warteten, bis Jade neben ihnen stoppte. Sie ließ ihr abgedunkeltes Seitenfenster herunter und winkte den beiden zurückhaltend zu. Die Hirten starrten sie an, als wollte Jade ihnen die Herde stehlen. Sie zeigten mürrisch in Richtung Südosten, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Jade verriegelte das schwere Panzerglasfenster und folgte dem Kurs.
Einer der Männer kehrte zur Viehherde zurück, der andere jagte dem Geländewagen nach und lieferte sich ein Wettrennen zwischen einer und fünfhundert Pferdestärken. Sie hielten auf eine weitere Hügelkette zu, bei dessen Anstieg alle vier Räder bis aufs Äußerste gefordert wurden und der Reiter auf seinem Roß deutliche Vorteile genoss. Als sie endlich oben angekommen waren, suchte Cassidy erneut nach dem Landsitz von Jades Eltern, erblickte aber stattdessen nur zwei kreisrunde Jurten inmitten eines kahlgefressenen Tals. Dazwischen stand ein feuerroter Jeep, der hundert Jahre alt sein musste und schon aus der Ferne so aussah, als stünde er kurz vorm Auseinanderfallen.
Jade verlangsamte die Fahrt, als sie sich den beiden Hütten näherten und stellte den völlig deplatziert wirkenden Luxuswagen neben die halbvolle Pferdetränke, so als hätte sich die Maschine ebenfalls eine Erfrischung verdient. Der Reiter war noch nicht abgestiegen, da öffnete sich die Holztür der kleineren Jurte. Ein Mann von Victors drahtiger Statur und Monroes gereiftem Alter trat gefolgt von einer in pastellfarbige Tücher gehüllten Frau heraus. Tiefe Furchen in ihren Gesichtern ließen auf ein hartes, entbehrungsreiches Leben schließen, das von ihrem mürrischen Auftreten zusätzlich unterstützt wurde.
»Was willst du hier?«, fuhr der Alte Jade an und spuckte ihr vor die Füße. Cassidy zuckte schon fast aus Gewohnheit zurück und vermutete, dass jeden Moment Köpfe rollen würden. Auch Dog griff geistesgegenwärtig nach dem Türöffner der Heckklappe, hinter der sein Maschinengewehr lag.
»Wir brauchen ein Lager für die Nacht, Vater«, antwortete Jade stattdessen beinahe demütig.
»Natürlich!«, erwiderte der Mann. »Die große Jade besucht uns unwürdige Kreaturen nur, wenn es in ihre verdammten Pläne passt!«
Er spuckte erneut auf den Boden und zeigte anschließend auf die größere Hütte.
»Morgen früh bist du wieder verschwunden, damit das klar ist!«
Mit diesen Worten drehte er ihr den Rücken zu und verschwand hinter seiner Holztür. Seine Frau schwieg, aber ihre düster funkelnden Augen und die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihrem Mann folgte, machten deutlich, dass sie ganz seiner Meinung war.
Jade wartete, bis die beiden die Tür hinter sich geschlossen hatten, bevor sie sich entspannte und dem einsamen Reiter zuwendete.
»Wie geht es ihnen?«, fragte sie leise, so als fürchtete sie, durch die Jurtenwände gehört werden zu können.
»Wie soll es Eltern gehen, die auf einen Schlag alle acht Kinder verloren haben?«
Er war Mitte vierzig, hatte zerzaustes, dunkelbraunes Haar, das ihm bis zum Halskragen reichte, trug ein hellblaues Hemd und eine ausgewaschene, hellbraune Jeanshose. Er sah Jade ähnlich und wirkte wie ein Cowboy aus dem Wilden Westen.
»Wir sind nicht alle tot, Jacob!«, fauchte Jade in Richtung der Hütte, so als hoffte sie, diesmal Gehör zu finden.
»Von ihrem Standpunkt aus hast du ihnen keins ihrer Kinder gelassen«, sprach der Reiter. Bevor sie antworten konnte, führte er die drei zu der größeren Jurte, als wolle er einer Diskussion aus dem Weg gehen. Im Inneren wartete bereits eine Frau in Jades Alter mit frisch aufgebrühtem Kräutertee. Auch Dog schien sich auf ein komfortables Nachtquartier im Stil des feudalen Herrenhauses gefreut zu haben, denn er brummte missmutig, als es stattdessen nur eine Schale bitteren Tees auf dem Boden einer primitiven Hütte gab.
»Also? Was führt dich hierher?«, fragte Jacob und klang dabei genauso anklagend wie der alte Mann, der sich als Jades Vater entpuppt hatte.
»Wir sind auf der Durchreise. Weiter nichts«, antwortete sie ausweichend.
»Immer noch die Geheimniskrämerin«, erwiderte der Hirte mit unterschwelligem Galgenhumor. Dann nickte er in Cassidys Richtung. »Ist sie deine Neue?«
Das Mädchen verschluckte sich beinahe an dem heißen Tee und starrte Jade fragend an.
»Nein.«
Jade rieb sich gereizt die Stirn, so als hätte sie gar kein Interesse an einer längeren Konversation. Mit knappen Worten stellte sie Jacob und seine schwangere Frau Tijana vor, die sich dabei
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