Die Endzeit Chroniken - Nemesis (German Edition)
schüchtern ihren schwarzen Pony aus dem Gesicht wischte. Jacob war der jüngere Bruder von Jades Vaters und demnach ihr Onkel. Gemeinsam zogen sie mit ihrem Sohn Kenan als Nomaden durch die Endzeitsteppe, immer begleitet von ihren Viehherden. Es war eine vergessene Lebensart, die mit dem Ende der zivilisierten Welt einen zweiten Frühling erfuhr; ähnlich den Brieftauben von Silver Valley. Lange an einem Ort zu bleiben konnte für einzelne Familien schnell zur Todesfalle werden. Außerdem bot das karge Land nur für kurze Zeit genug Futter für das Vieh. Die unterirdischen Schmelzwasserreservoirs, die sie über viele Jahre ausgekundschaftet hatten, brauchten Monate, um sich wieder aufzufüllen. Jade hatte den Wandel ihrer Familie von Großstadtbürgern, die ohne Computer und Handys nicht mehr leben konnten, zu Nomaden auf dem Rücken von Pferden, die Vieh züchteten und in manchen Jahren von der Hand in den Mund zehrten, im Laufe ihrer Kindheit miterlebt. Ihre ersten Behausungen bestanden aus fahruntüchtigen Wohnwagen, in denen es in der Nacht aus allen Ecken zog und überall reinregnete, bis sie eines Tages auf Einwanderer aus fernen Ländern trafen, die noch etwas vom Jurtenbau verstanden und ihnen ein paar Grundlagen lehrten.
Während ihr Onkel Jacob von der entbehrungsreichen Lebensart berichtete, erinnerte sich Cassidy an Angels Geschichten. Sie erzählte, wie Angels Familie ebenfalls viele Jahre rastlos durch die Steppe gezogen war, bis die Red Dragons sie überfallen und versklavt hatten. Jade hörte sich ihre Ausführungen in Ruhe an und Jacob gab zu, dass ihnen mehr als einmal ein ähnliches Schicksal bevorstand und sie sich oft nach der Rückkehr zur Zivilisation gesehnt hatten. Als die dann aber eines Tages vor der Tür stand, waren sie plötzlich nicht mehr so überzeugt davon.
Die sicariianischen Legionen vertrieben die Gangs im Handumdrehen, ebenso wie sie die Ranger und Vultures besiegt hatten. Anschließend mussten sich die Nomaden jedoch dem Imperium anschließen, ob sie wollten oder nicht. Da gingen Jades und Jacobs Ansichten auseinander. Zwar durften sie ihren Lebensstil fortführen, waren aber fortan gezwungen, sich an vorbestimmte Marschrouten und strenge Obergrenzen für die Viehzucht zu halten.
Jade argumentierte, dass ihnen das Imperium Sicherheit und einen gewissen Wohlstand bot. Sie lebten nicht länger nur für sich selbst, sondern trieben Handel mit den umliegenden Provinzen und standen unter dem Schutz der Legion. Jacob hingegen vermisste die Freiheit, an die sie sich gewöhnt hatten, und beschwerte sich über die restriktiven Auflagen. War ihr Nomadendasein zu Beginn eine mühselige Notwendigkeit gewesen, hatte sie sich inzwischen in ihren Lebensstil verwandelt, den sie ungern aufgeben wollten.
Das alles änderte sich jedoch schlagartig, als sie vor vielen Jahren eine Bacchae besuchte. Ihr Name war Sydney und sie gehörte genau wie Scarlet zu den ersten des damals noch wenig bekannten Kults. Viehdiebe hatten wiederholt Schafe und Ziegen von den umliegenden Bauernhöfen gestohlen und ihr erster Verdacht fiel auf die Nomaden, die unter den Landwirten als unnütze Parasiten galten. Jade war zu dieser Zeit eine aufsässige Vierzehnjährige, die alles besser wusste als ihre Eltern. Es war die Zeit ihrer zweimonatigen Schulferien, nachdem sie ihr zweites Schuljahr in Alexandria verbracht hatte.
Jade kannte die sympathische Frau bereits aus dem Themis-Tempel der Bacchae und ihren gelegentlichen Vorlesungen, die meist spannende Erzählungen aus den entlegenen Winkeln des Imperiums waren. Als sie die Agentin wiedererkannte, wich sie nicht mehr von ihrer Seite. Zunächst schien Sydney das Mädchen zu ignorieren, doch als sie nicht locker ließ, nahm sie Jade mit auf ihre Missionen. Jades Eltern waren alles andere als erfreut, als ihre Tochter den vergleichsweise kurzen Ferienaufenthalt mit der Fremden verbringen wollte, anstatt ihnen bei der täglichen Arbeit zu helfen.
Gemeinsam befragten sie die Landwirte, untersuchten die Viehherden der Nomaden und verhörten die mutmaßlichen Viehdiebe. Dabei fiel Sydney die außergewöhnliche Beobachtungsgabe und der Sachverstand über die Steppe der kleinen Nomadin auf. Jade lernte schnell und war überaus interessiert an allem, was Sydney tat, egal ob sie sich die strohblonden Haare zu einem langen Zopf zusammenflocht oder ihrem persönlichen Kampftraining nachging. Sie bevorzugte dabei ein gebogenes Katanaschwert, das Jade inzwischen stolz auf
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