Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
der klebrigen Bänder mit einem Draht hinein, fischte kreiselnd auf dem Boden und zog es langsam wieder hervor. Zwei Zündschlüssel und dünne Quittungspapiere steckten am Fliegenfänger fest.
Einer der Schlüssel passte zu einem Volvo XC90. Nachtweiß stand er in der Reihe der abgestellten Mietwagen. Als sie den Wagen startete, blinkte ihr eine Leuchtschrift ins Gesicht: Alcoguard. Sie hatte von dem eingebauten Promilletest gehört. Wer trinkt, der darf nicht fahren. Wohin führen diese Dinge?, fragte sie sich. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob eine solche Erfindung sinnvoll war oder doch eine unerträgliche Bevormundung.
Eines aber weiß ich ganz genau, dachte sie überrascht, als der Wagen ansprang und sie hinter ihrem Bruder vom Gelände der Autovermietung rollte: Ich habe meinen Spaß heut Nacht.
S assie Linné öffnete die Glastür zum »Wäschedienst Gren«, zog die chemiewarme Luft tief in ihre Lungen, drückte die Brust heraus und beugte sich über den Tresen, bis der Mann ihr in die Bluse guckte.
– Hallo, wir haben telefoniert, sagte sie. Schlagartig fühlte sie die Verantwortung einer Schauspielerin, deren Publikum eine tadellose Vorstellung erwartet.
– Ich komme wegen der Uniformen.
Der Mann sah sie verstört an. Er hob seine Hand, wie um sie abzuwehren.
– Ein Notfall, sagte sie aufmunternd. Werttransporte Loomis. Unsere Leute müssen einspringen auf der Messe. In voller Montur.
– Oh, ja. Endlich begriff er. Er verschwand zwischen Wäscheständern und kehrte mit drei verschnürten Paketen zurück.
– Die Uniformhosen, zählte er auf. Und die Jacken. Hier noch die Schnallen und Gürtel. Hoffnungsfroh sah er ihr aufs Dekolletee.
Sie ließ ihn die Pakete im Kofferraum ihres Mercedes verstauen. Zum Abschied drückte sie ihm artig die Hand und gewährte ihm einen letzten Blick. Sie hatte eine marineblaue Bluse angezogen, weil diese Farbe zu ihrer blassen Frühlingshaut passte wie keine andere.
Auf ihrem Weg aus der Stadt besorgte sie im Konsum-Markt in Haninge vier Benzinkanister und zwei Meter Plastikrohr und erwarb in der Freizeitabteilung ein Dutzend Schachteln mit dicken Schrauben. Für die Krähenfüße. Auf ihrem Weg in Richtung der Kassen kam sie sich in einem Spiegel entgegen, ohne sich aber sofort darin zu erkennen. Sie trat näher heran. Ich habe zugenommen, dachte sie zufrieden. Aber ihr starkes Make-up ließ sie älter aussehen. Ihre Perücke saß schief, ein paar dunkle Strähnen waren an den Schläfen entwichen. Sie rückte das Haarteil zurecht. Darunter sah es noch schrecklich aus. Heidi hatte sich Mühe gegeben, ihre Frisur zu verunstalten. Sie hat mich auf dem Kieker.
In Landfjärden stand Tjock-Aku winkend am Straßenrand. Er hatte sich zwischen Briefkästen postiert und erwartete ihre Ankunft wie ein zu groß geratenes, verloren gegangenes Kind.
Er bestieg den Mercedes erst, als sie auf den Beifahrersitz rutschte. Heute trug er eine Sonnenbrille, aber keine Strickjacke, und sie sah, dass sein rechter Arm von Tattoos überzogen war, von Schlangen, Kreuzen und Drachen, die so gar nicht zu seinem Babygesicht passten. Sein Fahrstil war ra sant. Als er mit einem waghalsigen Manöver an einer Kolonne von Baufahrzeugen vorbeizog, fragte er sie mit seiner tiefen Stimme, ob alles glattgegangen sei.
– Ja, warum nicht?
– Wo hast du die Uniformen her? Er klang misstrauisch.
Sie erwog, ob er eine Erklärung wert war. Sie fand ihn grässlich, und er mochte mit Frauen nicht arbeiten. Und stolz bin ich auch. Trotzdem, sagte sie sich, sollte ich nicht für Missmut sorgen.
– Ich habe eine Textilreinigung nach der anderen angerufen. Jedes Mal habe ich gefragt: Ist endlich die Lieferung der Wachfirma Loomis zur Abholung bereit? Es kann doch keine Wochen dauern, ein paar Uniformen zu reinigen. Beim fünften Anruf war ich erfolgreich.
– Und dann?
– Habe ich auf Eile gedrängt. Da warte eine Präsentation im Messezentrum in Älvsjö, ein prestigeträchtiger Auftritt der Firma beim Kongress zur Sicherheitstechnik.
Tjock-Aku nickte einmal kurz. Sie nahm es als Lob.
Ein wenig hatte sie über Tjock-Aku erfahren. Er war in Karkkila bei Helsinki aufgewachsen und als Vierjähriger zu seinen Großeltern nach Schweden geschickt worden. Er war ein tüchtiger Kampfsportler und Träger des Schwarzen Gürtels in Karate, hatte sogar an internationalen Wettkämpfen teilgenommen. Als ein Trupp Jugendlicher ihm eine Bierdose auf sein Auto warf, schlug er sie zusammen. Er kam vor
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