Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
Mann und Maus verkauft worden. Classen fuhr die Straßen der Stadt mit einem neuen Dienstwagen ab, noch mehr Kameras hieß das, noch genauere Peilung, bis hoch nach Poppenbüttel war er im Lauf des Frühlings vorgestoßen, einen neuen Kollegen an der Seite.
– Ein Langweiler, meinte Classen. Du fehlst mir, Myrbäck. Mit deinen Macken.
Myrbäck nickte und stocherte appetitlos im Kartoffelsalat. Jan aß sich finster und schweigend satt.
Es fiel ihm schwer, den Erzählungen Classens zu folgen. Immer wieder wanderten seine Gedanken auf ein blutiges Stück Wiese unter einer Autobahnbrücke zurück.
Nach dem Essen verschwanden Holzapfel und Classen, um sich den glücklichen Sieg der Schweden über die Belgier im Fernsehen anzusehen. Myrbäck trug welke Salatblätter und Kartoffelschalen zum Kompost. Er nahm ein Buch, ging zum Strand und kehrte, ohne es aufgeschlagen zu haben, in den Garten zurück. Er blieb fortwährend rastlos, verzog sich hinters Haus und spaltete lustlos, ohne jeden Rhythmus, ein paar Holzscheite, die er weit verstreut im Gras liegen ließ. Seine ziellose Wanderung führte ihn vor einen alten Räucherofen. Er rüttelte an den Türen, gab den halbherzigen Versuch sie zu öffnen jedoch auf, als Roststaub aufflog und sich auf seine Hemdmanschetten legte. Kurz erwog er einen Abstecher zum Bootshaus der Lövgrens, merkte aber auf halbem Weg, dass seine einsame Runde ihn auf nichts als fürchterliche Gedanken brachte.
Durch das Küchenfenster sah er Sassie am Tisch sitzen. Die Lampe über ihrem Kopf brannte, und ihr Gesicht war zerknittert, so als hätte sie geweint. Als er an die Scheibe klopfte, zuckte sie zusammen.
Sie stand auf, kam ihm entgegen und schubste die Fensterläden auf. Sie hatte sich wieder umgezogen. Sie trug ein violettes Kleid, das auf der Rückseite gerafft war und von einem dünnen Gürtel gehalten wurde. Sie beugte sich vor, und er spürte, wie ihre tränenfeuchten Wimpern über seine Wange strichen. Ihr Kuss schmeckte nach Salatessig und Wein.
S ie sahen einer Kröte dabei zu, wie sie sorglos über den Absatz der Verandatreppe hüpfte. Im Licht der Lampe schimmerte ihr Rücken wie lackiert. Ihr Quaken klang wie eine Krankheit.
– Hörst du, was sie ruft?, fragte Myrbäck.
– Nein.
– Sie will, dass du dich für mich ausziehst. Nackt sollst du sein.
Sie lächelte, ohne es zu wollen. Er sollte solche Dinge nicht an einem Abend wie diesem sagen, dachte sie. Wie geht man miteinander ins Bett, wenn ein paar Stunden zuvor ein Mensch zerrissen wurde, den man zwar nicht gemocht, mit dem man aber doch in einem Zimmer, dann in einem Auto gesessen und Worte gewechselt hatte? Aber Myrbäck will mich nur aufmuntern. Ein Schamane, dessen Zaubersprüche mich heilen mögen von den Grauen des Tages.
Myrbäck hatte seine Augen nicht offen halten können, als sie nach dem Essen alle zusammen auf der Veranda saßen. Er hatte gute Nacht gesagt und war im Haus verschwunden. Sie und Carla Classen waren geblieben. Sie hatte sich Geschichten über das Hamburger Regenwetter und die Grillkünste von Carlas Mann angehört, von ihrer eigenen Arbeit bei einer Firma, die Regalsysteme vertrieb, von den unruhigen Nächten im Wohnwagen, in dem die Frau schließlich verschwand, von Mücken vertrieben.
Sie hatte sich noch vom Rotwein genommen, eine Jacke übergezogen und war zu der Sitzbank im Garten gegangen. Sie hatte die letzten Streifen des Sonnenlichts am Horizont beobachtet und dann auf die Fassade des Hauses gestarrt. Lichter gingen an, Lichter gingen aus, ein Fensterladen klapperte, ein Schatten wanderte umher, blieb für zwei, drei Atemzüge am offenen Fenster stehen und zog die Vorhänge zu. Sie wunderte sich, wer von den beiden da so rastlos unterwegs war, Jan oder Knut? Einmal flackerte das Deckenlicht in ihrem Zimmer auf. Sie stellte sich vor, wie Myrbäck in ihrem Bett lag und im Dunkel auf sie wartete. Oder Jan, auch gut. Sie würde diese Nacht also nicht alleine verbringen müssen. Oder mit den Kröten, die im Garten ihre Liebeslieder sangen.
Und dann hatte sich Myrbäck neben sie gesetzt, ein paar Sätze gesagt und seine Finger mit den ihren verhakt. Augenblicklich fühlte sie sich erleichtert.
– Was tigerst du durchs Haus?, fragte sie.
– Ich? Ich lag vor dem Fernseher. Und bin kurz eingeschlafen.
– Dann wird es wohl Jan gewesen sein, sagte sie.
– Nein, der lag neben mir. Er schläft dort immer noch.
Verwirrt stand sie auf und starrte auf den düsteren Umriss des
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