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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Versendaal
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Hauses.
    – Wie kannst du das wissen, wenn du geschlafen hast?
    – Einfach so. Er hörte die Unruhe in ihrer Frage und erhob sich von der Sitzbank.
    – Hier ist niemand außer uns, sagte er. Versprochen.

Christiania, Dezember 1985
    Da liegt sie weiß und still auf ihrem Rücken. Starrt offenen Auges in die Luft, und ihr Blick bohrt sich durch die Deckenbalken über ihrem Bett und die löchrigen Militärdecken, die auf dem Dachboden lagern, er schießt durch das knarrende Gebälk, vorbei am Giebel und dem Geäst der Kastanie, mitten in die von der tief stehenden Sonne geröteten Wolkenbüschel hinein und dann noch ein ganzes Stück weiter, dorthin, wo nur sie jetzt gucken kann. Das ist Lilja.
    Sie beugte sich vor, ganz nah an ihre Schwester. Ihre Wangen hatten dieselbe Farbe wie der Spargel in den Einmachgläsern. Sie hatte sich kleine Hautfetzchen von den Lippen gebissen. Ihr leises Atmen war kaum zu hören, wie das einer Maus.
    Was siehst du? Wohin guckst du?, fragte sie, aber ihre Schwester antwortete nicht. Sie zuckte nicht einmal mit den Lidern. Oder blinzelte. Es muss sich doch fürchterlich anfühlen, dachte sie, ohne mit den Wimpern zu zucken. Sie selbst schaffte es keine Minute lang.
    Lilja war von der Schule nach Hause gekommen, und ihr Vater hatte sie an den Armen gegriffen und vor sich her gestoßen wie eine Einkaufskarre. Einfach nur, weil er schlechte Laune hatte wegen irgendwas. Wehrlos war sie mit dem Rücken gegen die Tür geprallt, nach vorne gekippt, mit dem Kopf auf den Boden geknallt. Rumms. Jetzt lag sie auf dem Bett. Ein kleiner Tropfen Blut war ihr aus der Nase geronnen und auf seinem Weg zwischen Nase und Mund getrocknet. An seinen Rändern war er fast schon schwarz.
    Vom Dach tropfte Schmelzwasser in die Abflussrinnen, das war das einzige Geräusch.
    Vor dem Bett lagen Liljas Schmetterlinge verstreut. Blaue Flügel und scharlachrote Flügel, gebrochene Fühler, haarige Beinchen im Kupferglanz, alle auf einem Haufen. Sie hatte sie aus ihren Papierfächern herausgeschüttet und sich dann in ihr Bett gelegt. Das seidige Dreieck eines geschlossenen Falters lag noch auf ihrer Brust. Gestern hatte sie wissen wollen, welche ihrer Zitronenfalter Weibchen sind und welche die Männchen.
    Die Schmetterlinge wissen es, habe ich geantwortet. Aber wir können es uns bloß einbilden. So, wie ich mir jetzt einbilde, dass der dem Dunkel der Decke entgegendämmernde Blick Liljas in Wahrheit nicht in den Wolken oder auf Sternen endet, sondern noch viel weiter weg. Dort, wo unsere Mutter sie in die Arme nimmt.

Z bigniew Nikodem Stanczak trug seinen Blazer, seine Lackschuhe glänzten, aber es gelang ihm nicht, die Augen zu öffnen. Seine Augenbrauen zuckten, und schwärzlicher Rauch entstieg seinen Haaren.
    Wo warst du die ganze Zeit?, fragte Myrbäck, aber der Pole antwortete nicht. Blind griff er in eine Einkaufstüte, die an seinem Arm baumelte, und fischte nach kleinen, glatt lackierten Kugeln, die er nach ihm warf. Sie explodierten mit einem Knall, bevor sie ihn treffen konnten. Eine der Kugeln aber war behaart, und sie traf ihn in Höhe des Magens. Sie plumpste zu Boden und platzte auf. Blut quoll aus der Kugel, deren Innereien sich zuckend noch über den Boden bewegten.
    Knut Giovanni Myrbäck erwachte aus einem bösen Traum, weil ihn seine Blase bis an den Rand des Schmerzes drückte. Er rückte ein Stück von Sassie ab und wankte halbgeschlossenen Auges auf die Toilette. Der kalte Plastiksitz ließ ihn einmal kurz erschaudern. Er bereute es sich gesetzt zu haben, aber Stehpinkeln war in diesem Hause ja verboten.
    Zbigniew gehörte zu den Toten, warum hat er mich im Schlaf besucht? Die Traumbilder saßen noch in seinem Körper, es fühlte sich beunruhigend an, und trotzdem weigerte er sich, seine Schläfrigkeit abzuschütteln. Weil er aber glaubte, ein seltsames Blubbern aus dem Abflussrohr zu hören, er auf der Suche nach einer Klopapierrolle auch kurz die Augen öffnete, entdeckte er, dass zwischen den Holzbohlen zu seinen Füßen ein flackerndes Licht durchschien.
    Myrbäcks Nackenhaare stellten sich auf.
    Es gab einen kleinen Vorratskeller unter dem Haus, in dem alte Fensterläden und nutzloses Mobiliar verwahrt wurden. Er wusste, dass dieser Raum verschlossen und lichtlos war und dass kein Mensch ihn je betrat. Nein, der Schein eines Feuers konnte es nicht sein, den er sah, längst hätte er den Rauch gerochen. Es war der wandernde Lichtstrahl einer Taschenlampe. Panik stieg in ihm auf.
    Ohne zu

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