Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
sich vor. Der Sand knirschte unter seinen Füßen, als er quer durch die Bucht schlich. Er löste die Leine und schob das Boot vor sich her. Bis zu den Oberschenkeln stand er im Wasser. Er stemmte sich hoch. Einen kurzen, aber gefährlichen Augenblick lang balancierte er mit den Knien auf der schmalen Reling, dann sackte er vornüber an Bord. Er krabbelte ins Heck und ließ den Motor zu Wasser. Ein metallisches Klicken hallte durch die Nacht.
Er winkte ihr zu.
Während sie zum Ufer sprang, hörte sie Stimmen. Das Schlagen von Türen, dann ein schweres, dumpfes Knallen. Unterdrückte Schreie.
– Was war das?, fragte sie, als sie beim Boot ankam.
Myrbäck antwortete nicht. Er war damit beschäftigt, den Anker einzuholen.
– Wo bleibt Holzapfel?
Unter den Apfelbäumen sah sie den Umriss einer Gestalt. Sie war zu klein, zu hager, um Holzapfel zu sein. Auch hätte Jan es eiliger gehabt.
– Beeil dich, zischte sie. Sie zögerte noch, doch als sie sah, dass die Figur sich ihnen auf einem umständlichen Zickzackkurs näherte, hob sie ihr Bein, legte es über die Bordkante und drückte sich mit beiden Armen hoch.
Geräuschlos schob Myrbäck die Ruder in die Dollen. Mit kurzen, wilden Stößen trieb er das Boot voran, um es seewärts zu wenden. Schräg und ruckartig schob es sich um die eigene Achse.
– Der Typ kommt näher, flüsterte er.
Endlich zündete er den Bootsmotor. Das Dröhnen in der Stille war unerträglich.
Viel zu langsam setzte das Boot sich in Bewegung. Die Felsen, die das Ende der Bucht abschlossen, kamen kaum näher. Sie rumpelten über eine kleine, scharfe Unterwasserklippe, blieben kurz hängen und kamen ein Stück von ihrem Kurs ab.
Zwei Schüsse hallten vom Land her, kurz hintereinander abgefeuert.
Auf einmal lief die Figur am Strand direkt auf ihr Boot zu, und sie dachte: Nicht schon wieder. Aber er war es tatsächlich, der Finne, den sie Jukki nannten.
Myrbäck duckte sich unter die Reling. Sie machte es ihm nach und kroch mit den Beinen voran in den Stauraum der Bugspitze.
Weil nichts geschah, hob sie nach ein paar Sekunden vorsichtig den Kopf.
Als das Mündungsfeuer aufblitzte, glitten sie hinter den Felsen der Bucht, ließen erst den Finnen mit seinem Gewehr, dann die kleine Landspitze hinter sich. Ein weiterer Schuss donnerte, es schepperte schlapp am Gehäuse des Motors, dann war Ruhe.
– Ich glaube, der Kerl kann nicht zielen, sagte sie. Wieso trifft er nie? Sie zog ihre Beine aus dem Bug und rappelte sich auf.
Leise tuckernd versah der Motor seinen Dienst, dennoch tastete Myrbäck ihn nach einem Einschussloch ab. Behutsam beschleunigte er, sie gewannen an Fahrt, und endlich stellte der Bug des Bootes sich hoch, da fuhr ihr der Schreck derart in die Glieder, dass sie kurz ihr Gleichgewicht verlor und mit dem Hintern von der Bank rutschte.
Keine zwei Meter über ihr löste sich ein riesiger Schatten von der Spitze eines Felsens, schoss durch die Luft, schlug klatschend im Wasser direkt vor ihr auf und versank.
– Was ist das?, schrie sie.
Entsetzt sah sie auf jene Stelle, an der das Ding im gurgelnden schwarzen Wasser untergegangen war.
J an Holzapfel würgte, er hustete und spuckte, um ihn herum schäumte die See.
Mit Mühe zogen sie ihn über die Reling. Er gab einen Wasserschwall von sich. Es war ein Wunder, dass der Schweißapparat auf seinem Rücken ihn nicht sofort versenkt und in die Tiefe gerissen hatte. Klatschnass und noch immer in seiner Unterhose lag er quer über der Bank im Bootsheck. Sein Brustkorb hob und senkte sich wie ein Blasebalg.
– Wie hat der Pagenkopf uns finden können?, fragte Myrbäck, als Jan endlich die Augen öffnete. Und die beiden Riesen?
Während das Boot tuckernd abdrehte, sah Myrbäck einen der Espadrilles von Holzapfel auf der Wasseroberfläche treiben. Die faserige Sohle war aufgequollen, gleich würde der einsame Schuh untergehen.
– Überall sind Leute, keuchte Jan erschöpft. Ich weiß nicht, woher die alle kommen. Und ich sehe nichts. Wo ist meine Brille?
– Heul nicht, sagte Myrbäck. Deine Brille ist ersoffen. Aber deine gute alte Bekannte ist wieder mit im Spiel. Und sie hat Verstärkung mitgebracht.
– Sie haben den Wohnwagen gekippt, antwortete Holzapfel.
– Wer?
– Die beiden Blonden. Als wäre er eine Gemüsekiste, mit einem Ruck haben sie ihn umgeschmissen.
– Und?
– Jetzt liegt der Wohnwagen auf seiner Tür. Die Classens sind Gefangene in ihrem eigenen Camper.
– Woher kamen die Schüsse?, wollte
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