Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
spülen, erhob er sich vom Toilettensitz, zog seine Pyjamahose hoch und tastete sich in der Dunkelheit in den ersten Stock empor, bis an sein Bett, das er in dieser Nacht zu seinem größten Glück mit Sassie teilen durfte.
Ihr Kopf und Oberkörper waren unter der Bettdecke verschwunden, nur ihre Beine hingen weit hervor. Weil Flüstern nicht half, sie zu wecken, griff Myrbäck nach ihrem Fuß. Mit einem Ruck stieß sie sich von der Matratze hoch und starrte ihn an.
– Hör zu, flüsterte er, wir müssen weg.
– Was?
– Jemand ist im Haus.
Bevor er sie daran hindern konnte, knipste sie die Nachtlampe an. Es war drei Uhr. Nie war ihm das Ticken eines Weckers so laut vorgekommen.
Seite an Seite saßen sie auf dem Bett. Er spürte noch die Wärme des Schlafes, die von ihr ausstrahlte.
– Was ist los mit dir?, fragte sie. Hast du schlecht geträumt?
– Nein, glaub mir. Da ist jemand im Keller.
– Dein Freund aus Hamburg?
– Classen? Niemals. Der Keller ist verschlossen. Und viel leicht steigt jetzt gerade jemand ins Haus ein. Oder steht schon im Flur.
– Hier ist niemand außer uns, du hast es versprochen.
– Ja, aber was ich mache, mache ich falsch.
– Stimmt.
Lautlos zogen sie Hemd und Hose an, bewaffneten sich mit einer Taschenlampe und schlichen die Treppe hinab. Als sie vor Holzapfels Tür standen, glaubte Myrbäck einen metallischen, kratzenden Laut zu hören. Er kam vom anderen Ende des Hauses, und er klang, als fingere jemand an den Riegeln eines Fensterladens herum.
Holzapfel saß aufrecht im Bett und starrte sie mit hellwachen Augen an.
– Wieso liegst du wach?, fragte Myrbäck.
– Bei all dem Lärm im Haus, du machst Witze. Lärm von oben, Lärm von unten. Lärm von draußen.
– Von draußen?
– Ja.
– Wir müssen mal wieder weg. Und stell keine Fragen.
Jan sprang nackt aus dem Bett, griff sich Pyjamahose und T-Shirt und stolperte in ein Paar ausgelatschter Espadrilles.
Auf Zehenspitzen schlichen sie, einer nach dem anderen, durch den düsteren Flur. Myrbäck zog die Haustür einen Spalt auf, hob sie dann an, um ihr Quietschen zu vermeiden, und trat als Erster vor die Tür.
Z wei blonde Männer nebeneinander, dachte Sassie Linné, warum sieht blond bei erwachsenen Männern so albern aus?
Gusseisernen Türmen gleich reckten die beiden Hünen sich in einer Ecke des Gartens empor, ihre hellen Schädel zwei Leuchtsignale in der Nacht. Sie umrahmten eine kleingewachsene Frau, der Finsternis und ihrer schwarzen Haare wegen fast unsichtbar, trotzdem begriff Sassie schlagartig: Die Hexe ist zurück. Ich habe sie schon durch das Guckloch einer Tür gesehen, und sie hat einen Polizisten geprügelt, dass dem das Blut aus der Nase schoss wie geschüttelter Champagner.
Das unheimliche Trio, überrascht und regungslos, starrte sie an.
Der Erste, der sich rührte, war Myrbäck. Im Rückwärtsgang stieß er sie ins Haus zurück. Sie prallte gegen Holzapfel, der sich gerade durch die Haustür ins Freie hatte quetschen wollen, nun aber mit einem Aufschrei in den Flur stürzte. Myrbäck schlug die Tür hinter ihnen zu, als stünde der Teufel vor der Schwelle. Den Schlüssel zog er ab. Sassie war ihm dankbar für die Geistesgegenwart, denn fast gleichzeitig erzitterten Tür und Rahmen, getroffen vom Aufprall eines schweren Körpers. Einer der Kolosse hatte sich gegen das Holz geworfen.
Unter größtmöglichem Getöse stürmten sie quer durch den Flur, hinein in Holzapfels Zimmer, und rissen das Fenster auf.
– Halt!, schrie Holzapfel, als Sassie schon federnd in den Kräuterbeeten landete. Das Aroma zertrampelter Salbeiblätter füllte die Nachtluft.
– Mein Schweißgerät! Jans Stimme krächzte vor unterdrückter Hysterie.
– Wozu brauchst du das Ding?, fragte Myrbäck.
– Es ist alles, was ich besitze, oder? Auf der Stelle machte er kehrt und verschwand im Flur.
– Und zieh dir Hosen an, schrie Myrbäck noch, bevor auch er aus dem Fenster sprang.
Geduckt schlichen sie sich hinter die Büsche und nahmen, ohne sich umzusehen, den direkten Weg ans Ufer im Laufschritt.
Nicht einmal das Plätschern des Wassers war zu hören, als sie in der Bucht anlangten. Das Meer lag völlig stumm. Myrbäck warf sich zwischen die Stauden des Strandhafers. Sie machte es ihm nach. Wortlos lauschten sie nach ihren Verfolgern.
Das Aluminiumboot lag regungslos vertäut, dicht unter Land. Ein Fender hatte sich gelöst und dümpelte an seiner Leine an der spiegelglatten Oberfläche.
Myrbäck wagte
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