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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Versendaal
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dem ein Feuer brannte und sich bestimmt alle um den warmen Ofen drängten.
    Ich habe Feuer gelegt. Ich bin eine Brandstifterin. Und eine Mörderin, wer weiß? Mehrmals am Tag fiel es ihr ein. Und in allen Nächten. Dann lag sie wach und stellte sich vor, wie im nächsten Augenblick ein Polizist an ihre Türe klopfen, nach Sassie Linné fragen und ihre Arme in Handschellen biegen würde. Einmal war sie von Sirenen geweckt worden, doch das Geheul kam von Ambulanzwagen und Feuerwehren. Am Morgen sprach es sich herum: Auf dem Refshalevej waren in der Nacht drei Autos zusammengestoßen. Zwei Männer sind dabei gestorben.
    Kleine runde Schneeflocken taumelten vor ihrer Nase durch die Luft. Sie fielen langsam, manche schwebten von unten nach oben, so, als sei es ihnen hier unten auf der Erde zu kalt.
    Vor einem verschneiten Haufen voller Ziegelschutt kamen sie zum Stehen. Wo im Sommer ein Farndickicht das Durchkommen unmöglich machte, öffnete sich ein Pfad. Weiter, hechelte er. Weiter. Der Boden war matschig und buckelig, die Löcher unter dem Schnee sah sie zu spät. Um jeden Meter musste sie kämpfen, und manchmal sah sie ihre eigenen Hände kaum, so wenig Tageslicht drang noch durch die niedrigen und struppigen Tannen. Ihre Füße waren dabei, taub zu werden, ihre Beine schwer.
    Was ist das?, fragte Liljas verschlafene Stimme. Fahren wir rückwärts?
    Nein, bergauf und bergab, sagte sie. Bei Nebel kann man sich mit dem Vor und dem Zurück vertun.
    Mir wird schwindlig, sagte Lilja.
    Ist ja kein Wunder. Er zog den Schlitten, wie es ihm in den verrückten Sinn kam. Er stolperte und wankte und rutschte durch die Dämmerung, und bei alldem riss er den Schlitten hinter sich her. Da stieß er einen Schrei aus. Der Länge nach stürzte er über einen Baumstamm, fiel und verschwand. Als er seinen Kopf aus dem Schnee hob, lächelte er lautlos. Seine Augen sahen traurig dabei aus.
    Jemand hatte sich vor langer Zeit die Mühe gemacht, eine Treppe aus Holzbohlen in den Aufstieg zum Wall zu bauen. Er versuchte, den Schlitten über die Treppe zu ziehen, aber der Schlitten verhakte sich bei jedem Absatz in den vermoderten Bohlen. Ich will absteigen, sagte Lilja. Er ließ es nicht zu. Du bleibst sitzen, japste er. Sitzen. Als sie die Spitze des Walls erreichten, ging er vor Erschöpfung in die Knie.
    Der See war eisbedeckt und weiß. Der Nebel hatte sich zu milchigen Streifen am Ufer zurückgezogen. Über Amagerbro färbten die Lichter des Gashafens den Himmel in ein schmutziges Gelb. Sie sah den Wolken dabei zu, wie sie schnell die Küste entlangzogen.
    Hört mal, keuchte er. Hört!
    In den Wipfeln der Bäume, die sie hinter sich gelassen hatten, war ein Sausen zu hören.
    Ein Wind von See, sagte er. Er bläst von der Køgebucht herüber. Er will über ganz Sjælland herfallen, aber die Stadt ist ihm im Weg. So tobt er sich hier aus.
    Nein, dachte sie. Es ist das Zischen der Hexen, über unseren Köpfen reiten sie dahin.
    Sie wusste um das Schlimmste.

F luchend suchte Myrbäck nach einer Stelle, um den Anker auszuwerfen. Sie half ihm, das Boot in der Brandung stabil zu halten. Die eben erwachte Brise war erlahmt, feine Regentropfen fielen.
    Im schaumigen Kielwasser strampelte Jan an Land. Er keuchte schon wieder. Dunkle Ringe umrahmten seine Augen: Das triefende Schweißgerät trug er vor der Brust, Kabelschlangen umzappelten ihn wie die Tentakel eines Tintenfisches. Sein Knie hatte er sich aufgeschürft, ein Rinnsal Blut lief über das Schienbein, als er durch die leichte Brandung an ihr vorbeitaumelte.
    Sie schleppten sich aufwärts. An manchen Stellen kamen sie nur auf allen vieren voran, barfüßig wie sie waren. In der Panik der Flucht hatten sie versäumt, in ihre Schuhe zu steigen. Holzapfel, ohne seine Brille nahezu erblindet, musste sich seinen Weg über den taufeuchten Granit ertasten. Wann immer er den scharfen Enden der Armierungseisen zu nah kam, warnte sie ihn. Die rostigen Stangen waren vor Jahren ohne Verstand in beliebigen Höhen abgesägt worden und ragten überall aus dem Gestein.
    Ein schwaches Glimmen am Horizont bereitete den neuen Tag vor, als sie die ersten Geschützbunker erreichten. Etliche von ihnen waren aufgesprengt worden, ihre Stahlbetondecken zerhauen oder zerfressen von der Meeresluft.
    Sie verzogen sich in den ersten Bunker, dessen Deckenplatten sie intakt fanden. Leere Schneckengehäuse und herabgerieselten Beton fegten sie mit den Händen beiseite, setzten sich im Kreis und sahen einander mit

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