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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Versendaal
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Spiel, dachte sie, die Zeit und den Regen zu vertreiben.
    – Ich habe Feuer gelegt, fing sie an. Aus Rache. Wochenlang habe ich darauf gewartet, dass die Polizei kommt. Mich einsperrt, die Brandstifterin. Eines Tages habe ich meinen Mut zusammengenommen und bin noch einmal nach Vesterbro. Ich wollte sehen, was ich angerichtet hatte. Rauchende Trümmer, Kreuze, Blumensträuße und Trauerkerzen, all das hatte ich erwartet. Was ich fand, war noch viel schlimmer. Das Haus war abgerissen worden. Mit ihm war das Fotoatelier Mikkelsen verschwunden. Den Mann, an dem ich Rache nehmen wollte, sah ich nie wieder.
    Es war Myrbäck, der nach einer Weile fragte:
    – Was hatte er getan?
    – Er war schuld am Tod meiner Mutter. Ich war meiner Sache damals ganz sicher.
    – Und heute?
    – Ich habe ihn nie für unschuldig erklärt. Wenn er noch lebt, wird er sich vielleicht manchmal fragen, wer dieses Mädchen gewesen sein mag, das ihn damals verfolgt hat. Er wird nie erfahren haben, dass eine der Darstellerinnen in seinen billigen Pornofilmchen sich ihr Leben nahm. Im Wald von Troldeskoven.
    Litt sie plötzlich unter einem inneren Geständniszwang? Ich bin dabei, viel preiszugeben, dachte Sassie, aber ich bereue es nicht. Sie spürte ein schmerzendes Druckgefühl unter ihrer Brust. Sie stellte ihren Rücken gerade und sprach weiter, ohne die beiden Männer anzusehen.
    – Vielleicht ist sie mit dem Überlandbus nach Tisvildeleje gefahren, vielleicht auch mit dem Zug bis nach Hillerød und weiter mit dem Bus. Dann ist sie an den Strand gegangen, hat sich ihre Schuhe ausgezogen und sie an den Schnürsenkeln zusammengebunden, ist ein Stück im seichten Wasser gewandert, hat eine letzte Zigarette geraucht, mit sich gerungen und sich dann doch einen kräftigen Ast gesucht. Sie hat eine Schnur geknüpft, ist barfuß am Stamm einer verbogenen Kiefer aufgestiegen, hat ihren Kopf in die Schlinge gelegt und sich fallen lassen. Ihre letzten Blicke fielen auf den einsamen Wald und das Sommerlaub und ihr verrinnendes Leben und be stimmt auch auf ihre Töchter, und in diesem Moment kamen ihr all die ungesagten Dinge in den Sinn, die nie ausgesprochenen Liebeserklärungen an uns, aber da war es dann zu spät für eine Umkehr, für ein Rufen nach Hilfe. So habe ich es mir immer vorgestellt. Von alldem hat der Mann im Fotoatelier nie gewusst. Er war nicht einmal der Regisseur der Filme, in denen meine Mutter sich für ein Taschengeld vögeln ließ. Er war der Kameramann.
    Was als schwacher Singsang durch ihre letzten Sätze gezogen war, fern und leise erst, dann lauter und von Landseite herkommend, wuchs zu einem Knattern heran, unterlegt mit dem Knacken von Ästen und dem Rutschen schwerer Reifen auf Lehmboden.
    Mit aufgerissenen Augen lehnte sich Myrbäck aus ihrem Ausguck hinaus. Auch sie sprang auf, trat vor den Bunker und wartete gebannt. Ein silbriger Geländewagen rollte mit eingeschalteten Scheinwerfern zwischen Bäumen hervor und hielt auf ihren Anlegeplatz zu. Bevor er zum Stehen kam, öffnete sich die Beifahrertür, und es reichte ihr ein Blick auf den blonden Haarschopf des Mannes, um zu wissen, dass ihnen ein ganzes Trio auf der Pelle saß.
    Holzapfel riss sie von ihrem Fleck weg und brachte sie ins Laufen. Hand in Hand rutschten sie den Felsen hinab, sprangen dann einer hinter dem anderen über den regennassen Sandstrand der Bucht, bis Myrbäck sie zu einer dichten Reihe von Kiefern dirigierte. Kreuz und quer, wie vor dem Eingang zu einem Irrgarten, führten schmale Pfade von hier aus ins Gestrüpp. Bis zu ihnen war das Tageslicht noch nicht gelangt, und es machte Mühe, im rechten Moment über knorrige Wurzeln zu springen und den schartigen Kiefernzapfen auszuweichen. Kiefernadeln stachen in ihre nackten Fußsohlen, die Muskeln ihrer Oberschenkel brannten. Alle paar Sekun den verkniff sie sich, stehen zu bleiben und nach Schritten oder Stimmen in ihrem Rücken zu lauschen. Knut war schneller als sie, sogar der nahezu blinde Holzapfel setzte sich ab. Immer häufiger verlor sie die Männer aus den Augen.
    Als sie sich schon verlassen glaubte, stieß sie in einer Lichtung auf Jan. Mit von sich gestreckten Beinen saß er auf einem verrottenden Birkenstamm und suchte seine Beine nach Zecken ab. Ohne sein Schweißgerät, ohne seine Persenning kam er ihr nackt vor. Beides hatte er im Bunker zurückgelassen. Sein einzig Hab und Gut.
    Es stank nach Fuchs.
    – Der reinste Urwald, fluchte er. Die Wunde an seinem Knie blutete stärker als

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