Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
dazwischen: Krankheit, Streit, Arbeitslosigkeit, der Suff, was weiß ich. Nicht einmal in den Ferien haben wir es über die Alpen geschafft.
– Wo bist du aufgewachsen?
– Meine Eltern konnten sich nie entscheiden. Sie zogen von Schweden nach Deutschland, von Deutschland nach Schweden, dann wieder zurück, und immer so weiter. Mich haben sie einfach mitgenommen.
– Aha.
Im Autoradio lief Schlagermusik. Weil die beiden Kartografen sich partout nicht auf einen Musikstil einigen konnten, hatten sie eine Abmachung getroffen. Über die Wahl des Senders durfte entscheiden, wer gerade am Steuer saß.
Myrbäck litt unter schlechter Musik. Auf den holperigen Kopfsteinen des Schütterweges begann er deshalb, Signalpunkte falsch zu setzen. Sein Plastikgriffel verschwenkte den Groten Heesen weit ins Unfallkrankenhaus hinein. Er ver engte die Boberger Drift zur Schikane. Er hob die Furtwegbrücke an.
Kleine Sabotagen waren das, womöglich mit massiven Folgeschäden. Denn aus ein paar Millimetern in der virtuellen Welt wurden Dutzende von Metern in der Wirklichkeit. Raum genug also für Irrfahrten, Karambolagen. Es würde Monate dauern, bis seine Daten ausgewertet waren, Jahre, bis sie im echten Verkehr zum Einsatz kämen. Wenn also eines fernen Tages der erste Sattelzug mit Karacho und seiner Frontvertäfelung unter der Furtwegbrücke hängen bliebe, dann stünde Myrbäck nicht mehr in Diensten der »Via Appia«. Dann würde er nicht mehr in einer überhitzten Fahrerkabine sitzen und den Geruch von Leberwurststullen ertragen müssen, der Classens Provianttasche entströmte.
Über den Rudorffweg fuhren sie in Richtung Reinbeker Redder, Classen wollte gerade abbiegen, als ein paar routi niert dahingesprochene Worte, Halbsätze nur, gegen Ende der lokalen Radionachrichten ihren Weg in Myrbäcks Ohr fanden.
»… Leverkusenstraße in Altona eine Lackierwerkstatt durch Verpuffung völlig zerstört. Dabei kam ein Mann ums Leben. In den umliegenden Häusern wurden Scheiben zerstört, und zwei Autos wurden unter den Trümmern begraben. Die Polizei geht von einem Unglücksfall aus.«
Myrbäck warf den Plastikgriffel aus der Hand.
– Halt an, stöhnte er.
Noch bevor sie am Straßenrand zum Stehen kamen, sprang Myrbäck aus dem Wagen. Er krümmte sich und schnappte nach Luft. Es war kein Herzkrampf, der ihm den Atem raubte. Es war der Sägemuskel, der in einer plötzlichen Verspannung ein Glühen vom Rücken bis in sein Rippenfell sandte, mitten in die Brust hinein.
– Classen, ich muss nach Hause. Ich schaff’s hier nicht mehr.
Classen begriff, dass es dem leichenblassen Kollegen ernst war.
Vierzig Minuten sowie sechs mit zwei Glas Wasser hinuntergespülte Schmerztabletten später saß Myrbäck vor dem Bildschirm seines Computers. Er las:
16:18 /++Polizei Hamburg++
Ein Toter bei Werkstattverpuffung
Hamburg (ots) – Am heutigen Nachmittag gegen 14 Uhr 25 kam es in der Leverkusenstraße aus bisher ungeklärter Ursache zu einer Verpuffung. Durch den Druck der Explosion wurde der gesamte Dachstuhl des Werkstatthauses angehoben und Wände nach außen gedrückt. Fensterscheiben platzten, der Schornstein knickte ab, und im Gebäude brach an mehreren Stellen Feuer aus. In den Trümmern des Malereibetriebes entdeckten Brandermittler eine Leiche. Bei ihr handelt es sich vermutlich um einen der Besitzer der Werkstatt.
An dem Haus entstand Totalschaden, Untersuchungen zur Ursache der Verpuffung und des Brandes wurden aufgenommen.
Zeugen, die Beobachtungen im Zusammenhang mit der Detonation gemacht haben oder die sonstige Angaben machen können, werden gebeten, sich bei der Polizeiinspektion Altona zu melden.
Leckt mich, sagte sich Myrbäck.
Mit einer Gedankenschärfe, die ihn selbst überraschte, zog er Bilanz: Holzapfel ist verschwunden, vielleicht gestorben. Raschke ist tot. Kaum habe ich ihn mit seinem Kompressor und seiner Thermoskanne allein gelassen, ist die Werkstatt explodiert. Und: Wer wird das nächste Opfer sein? Zbigniew? Oder ich selbst?
Er klickte sich durch die digitale Pressemappe der Kripo. Da war nicht viel zu erkennen von dem, was einst Sitz der »Perma-Corro« gewesen war. Ein Haufen Schutt, zersprengte Mauerteile.
Myrbäck fuhr, so schnell sein brettharter Rücken es erlaubte, mit dem Rad zu Holzapfels Mietshaus. Im Dämmerlicht des Hausflurs kühlte er sich ab, dann erstieg er leise den dritten Stock. Er lauschte an der Tür, bevor er sie mit zittriger Hand aufschloss.
Er ging geradewegs ins
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