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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Versendaal
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insgeheim stellten.
    – Wird diese Frau jemals heil von ihrem Stuhl herunterkommen?
    Sassie gefiel der Humor Holzapfels. Und wie sah er erst aus! Ein Doppelgänger Fidel Castros, eines Castros auf dem Höhepunkt der Macht. Er hat die exilkubanischen Invasoren aus der Schweinebucht getrieben, seine Kampfgenossen abgeschüttelt, er beginnt den Aufbau seines Einmannlandes: Mit Hornbrille und Fitzelbart, und die Frauen laufen ihm hinterher, weil sie die Macht so lieben und jene, die sie besitzen. Schade, dachte sie, Jan Holzapfel würde weder in der Politik noch sonst wo Karriere machen. Auch bei ihr nicht, obwohl. Für Momente strahlt er jene wilde Unartigkeit aus, die manchen Frauen so warm unter die Haut geht, weil sie sich einbilden, sie zähmen zu müssen. Hier aber trug er eine zu enge Lederweste und ließ seine nassen Socken auf den Heizungsrohren des Badezimmers ausdünsten.
    Am Morgen hatte sie einen Blick in das Zimmer der Männer riskiert: Der Raum roch nach durchschwitzter Kleidung, nach feuchter Wolle. Auf dem Boden schlängelte sich ein Schlafsack aus Armeebeständen, davor stand eine Tasche, ihre Innereien herausgerupft wie von einem Schakal: Strümpfe, T-Shirts, unmöglich zu sagen, ob getragen oder noch frisch. Rundherum leere Keksschachteln, zerlesene Zeitschriften, verwitterte Schuhe.
    – Eure größte Dummheit?, hörte sie Holzapfel in seinem komischen Englisch laut in die Runde fragen.
    Wie kommt er auf so was?, dachte sie.
    – Kommt schon. Wann habt ihr eure größte Dummheit begangen? Erzählt mal.
    – Du redest ein Zeugs, sagte Heidi missmutig. Sie saß im Bademantel auf der Sofalehne und bürstete ihr feuchtes Haar. Sie war lange im Badezimmer gewesen, rosa leuchteten ihre Wangen. Sie stand auf, ging in die Küche und kehrte mit einer Cognacflasche zurück. Sie stellte sie in die Mitte des Tisches und sagte, an ihren Bruder gewandt:
    – Du beginnst. Deine Dummheit zuerst.
    – Mein erster Suff, fing Holzapfel an. Mit vierzehn. In den Herbstferien bei Oma und Opa. Ich wartete, bis sie ins Bett gingen, dann habe ich mich mit einer Flasche Korn und Zigaretten in den Kuhstall geschlichen. Irgendwann in der Nacht muss ich betrunken ins Heu gestürzt sein. Am nächsten Morgen wurde ich von Schmerzen geweckt.
    Er legte den Kopf zur Seite und hielt seinen Zeigefinger auf einen kleinen rötlichen Fleck auf seiner Wange.
    – Eine Kuh hat mir eine Wunde geleckt. Mit ihrer Zunge. Wenn es richtig kalt draußen ist, fängt die Stelle heute noch an zu leuchten.
    Sassie hatte die Stelle für ein Frostmal gehalten.
    – Jetzt seid ihr dran. Erwartungsvoll sah Jan in die Runde.
    Als weder Myrbäck noch sie oder Heidi Anstalten machten, den Mund zu öffnen, warf er sich auf Sassies Sofabett zurück.
    – Ist euch der Humor vergangen?, blökte er. Wir haben fließend Wasser, die Heizung bullert, ist doch kuschelig, so eng beieinander.
    – Keine Lust, meinte Heidi. Ich bin nicht in Plauderlaune. Sie griff nach der Fernbedienung und stellte den Fernseher noch lauter.
    Sassie war ihr dankbar. Ein Joint, dachte sie, ein Joint würde mir jetzt guttun. Doch sie war gewarnt worden: Jederzeit, auch mitten in der Nacht, drohte der Überraschungsbesuch eines Justizbeamten. Der würde Augen machen, nicht nur weil sie zwei der vier Schrauben ihres Fußbandes aufgebrochen hatte. Sondern auch, weil ein die Resozialisierung der Sassie Linné förderndes Wohnumfeld nicht mehr gewährleistet war. Vier Erwachsene und zwei Kinder auf siebzig Quadrat, das waren bengalische Verhältnisse, inakzeptabel für die Beamten einer Sozialbehörde dieses Landes.
    Ed, schon im Pyjama, kam, ihr gute Nacht zu sagen. Ein süßer Junge, still, verhalten. Bestimmt litt er unter seiner Feriengesellschaft, den Erwachsenen mit ihrem beginnenden Lagerkoller und einem vierzehnjährigen Mädchen, das ihn mit herablassender Freundlichkeit behandelte. Sassie beugte sich vor.
    – Heißt du wirklich nur Ed?, fragte sie. Oder bist du in Wirklichkeit ein Edward? Ed, das alleine ist doch ziemlich kurz.
    – Ich heiße nur Ed, antwortete der Junge ernst. Ed Myrbäck. Einen kürzeren Namen konnten meine Eltern nicht finden.
    – Und gefällt dir dein Name? Magst du ihn?
    – Es geht so. Den von Knut finde ich besser.
    – Knut? Knut Giovanni? Das klingt doch ein bisschen nach Zirkus.
    – Stimmt. Aber meine Mutter meint, das Spannendste an meinem Vater ist sein Name.
    Sassie nickte verständnisvoll. Aus Eds Nase lief Schnodder. Sie ekelte sich ein

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