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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Versendaal
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bisschen.
    – Langweilst du dich? Unter all den Erwachsenen?
    – Ich spiele doch mit Malin.
    – Ja, aber sie geht zur Schule. Spielt Handball. Ist viel unterwegs.
    Seine schmalen Schultern zuckten. Er sieht aus wie sein Vater, fand sie.
    – Was hast du denn heute gemacht?
    – Ich habe geschaukelt. Dann war ich Eis essen. Mit dem Mann.
    – Mit welchem Mann? Meinst du Jan?
    – Nein, Jan doch nicht. Der Mann mit der Tasche.
    – Der Mann mit der Tasche? Woher kennst du den?
    – Ich kenne ihn eben. Ed wurde ungeduldig. Ich kenne ihn vom Spielplatz. Er hat ein Fernglas in seiner Tasche.
    – Wohnt er hier?
    – Nöö. Er weiß aber, wo wir wohnen. Er hat durch sein Fernglas in unsere Fenster geguckt.
    – Er hat was?
    – Ja. Ich habe auch gucken dürfen. Du hast am Küchenfenster gestanden und geraucht.
    Sie hätte gar nicht erst anfangen sollen mit diesem Gespräch, dachte sie. Wer weiß, was Ed sich da zusammenreimte? Fremde Männer auf Spielplätzen. Sie nahm sich vor, ein Wort mit seinem Vater zu reden.
    Vom Cognac hatte sie nicht trinken wollen, nahm nun aber doch einen Schluck. Fast unmittelbar spürte sie, wie der Alkohol durch ihre Adern strömte. Sie setzte das Glas ab und trat auf den Balkon, eine rauchen. Im Inneren des Kaninchenstalls rumpelte es. Sie lüftete die Wolldecken, die nachts über dem Käfig lagen. Es stank nach Heu und Urin. Eine Schnauze drückte sich an das Drahtgitter, eine Nase witterte, zwei Zähne schimmerten gelb. Christiania war voll von Kaninchen gewesen. Sie waren genügsam und billig zu halten, und ihr Fleisch brachte ein paar Kronen auf dem Markt vom Gammel Strand.
    Sie warf ihre Zigarette in die Nacht, sah der absinkenden Flugbahn nach, die von der Glut in das Dunkel gezeichnet wurde, und kehrte in die überheizte Wohnung zurück. Sie passierte ihr Bett, auf dem Myrbäck und Holzapfel mit Dosenbier und Salzstangen lagerten. Im Flur setzte sie sich vor den Computer. Er war umquartiert worden, um Platz für die Asylanten aus Hamburg zu schaffen.
    »Knut Giovanni Myrbäck« – Im Internet war außer den Arbeiten eines Enzymforschers wenig zu finden. Myrbäck war ein unbeschriebenes Blatt. Die eigene Existenz vor dem Internet geheim zu halten, dachte sie, ist schon ein Kunststück.
    Mit einem Ohr folgte sie den Vorhersagen des Wetterberichts: Das Herannahen einer Kaltfront aus Nordnordwest, Schneefälle auch in Küstennähe. Hinter ihrem Rücken rauschte Heidi durch den Flur und verschwand in ihrem Zimmer.
    »Jan Holzapfel« beförderte ein paar Einträge mehr auf den Bildschirm. Der Server rief eine Webseite der »Perma-Corro GmbH« auf. Sassie verstand ein wenig Deutsch, und auch wenn sie nichts begriff von Chromatierung oder zyanidfreier Verzinkung – sie hatte es hier mit einem laienhaft gestalteten Internetauftritt zu tun, leicht erkenntlich am lieblosen Layout, an der unscharfen Fotografie dreier Männer vor einer Fabrikhalle. In einem von ihnen erkannte sie Holzapfel wieder. Er stand dort in einem Overall und überragte seine beiden Kollegen. Als Chef des Trios machte sie einen schwarzhaarigen Mann aus, doch das mochte am piekfeinen Anzug liegen, den er trug, an dem ergrauten Haar. Nummer drei blickte aus dem Bild heraus. Mit seinem verwischten Profil und dem schütteren Haar erinnerte er sie an einen nervösen Vogel.
    Plötzlich stand Heidi vor ihr. Sie hatte sich die Haare ausgekämmt, sich umgezogen und trug jetzt ein ärmelloses Seidenkleid, das ihre Tätowierung auf der Schulter frei ließ: eine Rose, umrankt von grünblauen Blättern. Mit euphorischem Schwung trat sie in das Fernsehzimmer, drehte sich zweimal um die eigene Achse und fragte:
    – Gar nicht so schlecht, oder?
    – Sieht super aus, sagte Malin. Sie klatschte Beifall.
    Sassie nickte anerkennend.
    – Prada, meinte Holzapfel mit stolzer Miene. Es war ja sein Geburtstagsgeschenk an die Schwester, das gerade eine Premiere vor Publikum erlebte.
    Myrbäck blieb stumm.
    Sie konnte zusehen dabei, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Er wurde blass, dann grünstichig wie ein Eierkarton.
    Er starrte auf die sich langsam in der Mitte des Raumes drehende Heidi, als wäre sie ein Geist. Ein Geist in einem Kleid, das nach Sommer aussah, gelbe Tupfer auf weißem Grund.
    Steht ihm gut, diese Blässe, dachte Sassie.

G roße, kleine, dicke Pimmel. Schiefe, monströse, niedliche, beschnittene Pimmel oder solche mit Augen, mit Beinen, auf Rädern, Pimmel in Leuchtorange. In manchen der Zeichnungen meinte Myrbäck,

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