Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
Leute gingen von Stand zu Stand, hielten sich das Zeugs unter die Nase, kauften oder schüttelten den Kopf.
Ihre Mutter war häufig dorthin gegangen. Hinterher schimpfte sie dann: Die wollen einen bloß betrügen. Die am Haupttor besonders. Was sie als Gras verkaufen, schmeckt wie Stroh aus dem Hühnerstall.
Am meisten los war auf der Pusherstreet am Donnerstag. Alle zwei Wochen war Zahltag in den Fabriken, und nach Feierabend kamen die Arbeiter aus den Werften und aus der Carlsberg-Brauerei, um Haschisch zu kaufen. An diesen Tagen gab es oft Schlägereien am Marktplatz.
Catrine trug einen Strohhut auf ihrem Kopf und hockte in einem weiten roten Kleid auf einer umgedrehten Holztonne vor ihrer Haustür. Ihr Gesicht war rosig, und sie schwitzte, obwohl sie im Schatten saß.
Sie reichte Catrine den Brief. Die nahm ihn, riss ihn mit einer Haarnadel vorsichtig auf, fischte einen grauen Zettel hervor und las. Dann sagte sie: Dein Vater kommt.
Sie spürte, dass sie jetzt etwas sagen sollte. Ihr fiel nicht ein, was. Stattdessen fragte sie Catrine, ob sie die blaue Briefmarke behalten durfte. Sie würde sie Ove schenken. Der sammelte ja alles.
D er Faustschlag traf Holzapfel zwischen linkem Ohr und Auge und fällte ihn. Er stürzte auf die Knie, die Brille sprang davon. Myrbäck warf sich auf seinen Rücken und nahm ihn in den Würgegriff. So nahe waren sie einander seit Jahren nicht gewesen. Er konnte Holzapfel unter seinem Rasierwasser riechen.
Myrbäck war kein Ringkämpfer, vom Boxen und Prügeln verstand er nichts. Dennoch hatte er einen wuchtigen Treffer punktgenau landen können: auf der dünnhäutigen Schläfe seines Opfers. Ja, Holzapfel hatte sich einen Strafzettel verdient. Und einen Katalog bohrender Fragen.
– Was steckt in der Kiste?
– Welche Kiste? Holzapfels Miene war schmerzverzerrt, seine Stimme kaum zu hören. Myrbäck betrachtete Jans spröde Lippen und verschärfte seinen Klammergriff mit einem Ruck.
– Stell dich nicht dumm. Die Kiste, die du auf dem Dachboden versteckt hast. Wort für Wort schrie er in die linke Ohrmuschel Jans hinein.
– Ich weiß nichts. Ich hab keine Ahnung.
– Wieso nicht?
– Ich schwör’s. Echt.
– Dein Gelaber ist unerträglich.
Holzapfel schüttelte den Kopf, so weit ihm das in seiner Lage möglich war. Mit gepresster Stimme stieß er hervor:
– Lass mich endlich los.
– Hast du den Arsch offen? Total offen, was? Deinetwegen musste ich mein Zuhause verlassen. Ich habe meinen Sohn entführt. Und du keuchst mir hier Lügen ins Ohr?
Myrbäck verlagerte sein Gewicht auf Holzapfels Brustkorb. Mit einem Japsen eröffnete der die Erzählung seines letzten Abends in Hamburg.
Noch während Myrbäck im Kino auf ihn wartete, hatte er auf dringliches Anraten Stanczaks das Nötigste gepackt und seine Wohnung verlassen. Die ersten Stunden seiner Flucht hatte er bei seiner Gelegenheitsgeliebten verbracht, einer Café-Kellnerin namens Ilka, die seine sporadischen nächtlichen Besuche gewöhnt war, sogar schätzte. Er war geblieben, bis erstes Tageslicht durch das Schlafzimmerfenster fiel und ihn weckte.
– Ohne Frühstück im Bauch bin ich das Viertel abgegangen. Ungeduscht und unrasiert. Nach und nach habe ich immer größere Kreise gezogen. Alles zu Fuß.
– Heul doch. Myrbäck machte das Selbstmitleid Holzapfels rasend. Weiter!
– Dann nahm ich mir die Parkhäuser vor. Am Ende habe ich den Wagen gefunden.
– Ja, und?
– Ich habe die Rückbank umgeklappt und die Kiste abmontiert. Sobald ich hier ankam, habe ich sie in Heidis Dachkammer versteckt.
– Jetzt liegt sie auf deinem Bett.
Jan holte einmal tief Luft. Sein empörtes Gesicht überzog sich mit einer ungesunden Röte.
– Aber noch mal von vorne jetzt. Woher wusstest du überhaupt von der Kiste? Myrbäck wollte ihm keine Pause gönnen.
– Von Stanczak. Nicht der Wagen ist wichtig, hat er mir gesagt. Sondern der Kasten in der Rückbank.
– Du hast nicht wissen wollen, was in ihm steckt?
– Doch. Aber er sagte mir nur, dass es sich lohnen würde, ihn zu beschaffen. Holzapfel klang kleinlaut.
Es gab so vieles, was Myrbäck nicht begriff. Und welch absurdes Schauspiel es war, dass er seinen Freund hier im Schwitzkasten hielt. Wenn Holzapfel wollte, wenn er die Wut, die sicherlich in ihm steckte, bündelte und gegen ihn wendete, dann wäre er chancenlos. Er nahm die Ergebenheit Holzapfels als freundschaftliche Geste. Eine Zeitlang schwiegen sie beide.
Aus der Küche war Musik zu hören. Ed
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