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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Versendaal
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darüber nach, weshalb er seine Freundschaften vernachlässigt hatte. Sicher lag es daran, dass er als Kind keine Wurzeln geschlagen, kaum einmal über mehrere Jahre an einem Ort gelebt hatte. Hin und her, mal hier, mal dort, in dieser Klasse ein Jahr, in jener ein halbes. Kein Wunder, dass mir am Ende bloß ein paar fragwürdige Bekanntschaften geblieben sind.
    Kurz vor Ösmo schlugen sie den Weg in Richtung Ostsee und Muskö ein. Auf halber Strecke bogen sie im Schritttempo auf das Gelände der »Wik-Inn Marina«. Dutzende von Booten standen auf einer schmalen Landbrücke unter grünen Plastikplanen vertäut. Die Tore der Werfthalle waren verschlossen, die Fensterläden des Haupthauses verriegelt. Die Einstiegsluke des Hebekrans hatte man mit einer Metallkette gesichert. Familie Vikström, die den kleinen Jachthafen betrieb, verlebte die Vorsaison offenbar in wärmeren Gefilden.
    Myrbäck bugsierte den Dodge an den Rand eines Bootsstegs, an dem sich im Sommer die Segelschiffe und Kajütboote drängelten. Jetzt waren nur zwei Anglerboote an den äußeren Auslegern festgemacht.
    Der Steg zu den Liegeplätzen war leicht abschüssig. Bevor er ausstieg, zog Myrbäck die Handbremse an.
    – Hat Snake es besser verdient?, fragte er, nachdem sie einige Minuten reglos neben dem Auto gestanden hatten. Der Wind kam vom Meer, fing sich in der Bucht und blies feuchtkalte Luft durch den Stoff ihrer Jacken.
    – Nein. Holzapfel schüttelte den Kopf. Auf seiner linken Wange glühte der Fleck, den die Kuhzunge ihm dorthin geleckt hatte.
    Eine nach der anderen ließ Myrbäck die Fensterscheiben des Wagens in der Türverkleidung verschwinden, ließ dann auch Heckklappe und Motorhaube aufspringen. Wie ein gigantischer, zum Fluge bereiter Hirschhornkäfer stand der Dodge vor ihnen. Myrbäck setzte sich hinter das Steuer, legte den Leerlauf ein, ließ den Motor an, löste die Handbremse und stieg aus dem Wagen. Zufrieden sah er dabei zu, wie der Dodge erst zögernd ins Rollen geriet, dann rumpelnd die Bohlen des Stegs nahm und mit einem satten Gurgeln zügig im Wasser der Torsbucht versank.
    – Wie blöd, sagte Holzapfel, dass wir ohne Auto weitermüssen.
    – Ja, das fällt dir reichlich spät ein.
    Zu Fuß folgten sie der Landstraße, erreichten nach einer Dreiviertelstunde Ösmo und erwogen, im Vansta-Kiosk jeder einen Kaffee zu trinken, um die Kälte aus ihren Knochen zu spülen, stellten jedoch entsetzt fest, das ihnen sogar hierfür das Geld fehlte.
    Später saßen sie auf der hinteren Sitzbank des Linienbusses 847 und wärmten ihre Füße über der Heizung, als Holzapfel Myrbäck anblickte und mit dem Tonfall einer unterdrückten Anklage sagte:
    – Wenigstens das Navi hätten wir behalten können.
    Jan hatte Recht. Es war voreilig gewesen, den Dodge zu versenken, ohne seine Innereien auszuweiden. In nächster Zukunft würden sie von den Brosamen leben müssen. Autoradios, Navis, die kleinen Extras, Forss würde sie ihnen gegen gute Bezahlung abnehmen, hatte er beim Abschied großmütig in Aussicht gestellt.
    Der Bus rollte gerade über Kvarnängen ins Zentrum Nynäshamns ein, da sagte Holzapfel plötzlich viel zu laut an sein Ohr:
    – Und kein Wort zu Heidi. Es ist zu peinlich.

Christiania, August 1985
    Hand in Hand sind sie losgegangen. Haben Christianshavn über die Knippelsbrücke verlassen und die endlosen Ziegelsteinmauern des Schlachthofs abgelaufen, um in Vesterbro anzukommen. Im Gewirr der engen Straßen mit den niedrigen Häusern ist es schwer gewesen, den Sinn für die Himmelsrichtungen zu behalten.
    Vesterbro war voll mit Leuten, die kein Dänisch sprachen und auch kein Schwedisch. Sie kamen an kleinen Gemüseläden vorbei, an Geschäften, in denen Koffer, bunte Stoffe und Plastikbesen verkauft wurden, und ab und zu an einem leeren Haus ohne Fenster, aus dem es nach feuchtem Staub roch. Vor einer Kirche am Enghave Platz setzten sie sich auf eine Bank. Von hier aus konnten sie in der Ferne den goldenen Turm vom Tivoli sehen, und die Drehkarussells, klein wie Spielzeuge, aber in vielen Farben leuchtend zwischen den endlosen grauen Fassaden.
    Wie konnte Oves Vater behaupten, dass ihre Mutter in Vesterbro gelandet war? Er arbeitete im Komitee und war sogar schon im Fernsehen aufgetreten. Er ist immer mit dabei, hat Ove erzählt, wenn die Männer und Frauen von der Sozialbehörde nach Christiania kommen und sich alle im Versammlungshaus treffen, um über feuerfeste Türen für das Løvehuset zu sprechen. Oder wenn

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