Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
gelegt hatte.
Jetzt hieß es auch noch einige Lektionen Business-Englisch durchzustehen. Er, Alexander B., war in Fremdsprachen gewiss keine Leuchte, sein Englisch Mittelmaß, im Grunde auf eine Handvoll knackiger Slogans beschränkt. Sämtliche Mitarbeiter der Abteilung aber waren neuerdings per Direktive gehalten, ihre Kenntnisse aufzufrischen, zwei Mal zwei Wochenstunden. Zehn Minuten hat er seine Englischlehrerin im Vorzimmer schon warten lassen. Foxy Bitch!
G uck mal!
Holzapfel deutete auf eine Kirche zu ihrer Rechten.
– Sieht aus wie ein falsch gefalteter Pappkarton, sagte Myrbäck.
Sie hatten sich ewig durch den Verkehr auf der E 4 ge quält, den Hallundaplan hinter sich gelassen und fuhren im Schritttempo an den achtstöckigen Hausfronten des Höders Väg entlang.
Hier irgendwo lebte Per Ola Forss.
Forss war, was Myrbäck einen alten Freund hätte nennen können. Wenn er denn gewollt hätte. Ein Mensch aber, den er seit Jahren nicht gesehen, an den er ebenso lange keinen Gedanken verschwendet hatte, verdiente ein solches Prädikat wohl doch nicht. Als sie sich in der vergangenen Woche plötzlich am Mörbyvägen gegenüberstanden, hatten sie einer den anderen aber doch mühelos erkannt.
Drei Jahre lang waren sie gemeinsam in Nynäshamn zur Schule gegangen. Sie hatten sich aus den Augen verloren, weil Forss von seinen Eltern auf eine exklusive Privatschule in Dalarna geschickt wurde. Aus Protest gegen seine ambitionierten Eltern schwänzte Per Ola zwei Wochen lang den Unterricht, wusch auch seine Haare in dieser Zeit nicht, ergab sich am Ende aber doch in sein Schicksal. Er zog nach Likkeby, wo es nicht viel mehr gab als einen ICA-Supermarkt, Lennys Farbhandel, die Grillstube Kebab Charlotte sowie besagte Lehranstalt. Die im Übrigen versagte: Aus Forss war kein Staatsanwalt geworden, sondern bloß ein gemeiner Ganove.
Forss, so hatte es Myrbäck sich aus den Andeutungen des alten Kumpels zusammengereimt, organisierte Fluchtfahrzeuge und Verstecke, er verschob Diebesgut und zog Autoversicherungen mit fingierten Unfällen ab. Für wen? In wessen Auftrag? Da fragt man nicht nach. Aber er würde Myrbäck und dessen Kumpel vielleicht aus der Not helfen können. Klar, Autos, da könne er vermitteln, als Teilhaber einer Werkstatt auch problemlos Fahrzeuge umfrisieren.
Myrbäck hatte ihren heutigen Besuch vage angekündigt.
Ein durchdringender Geruch nach Tannengrün tränkte Forss’ Wohnung, anderthalb Zimmer, in denen er allein lebte. Er begrüßte sie in Militärjacke und Shorts, brühte einen Kaffee auf und bot eine Schüssel voll ergrauter Kekse an. Er ließ sich in einen breiten Sessel aus mokkabraunem Lederimitat fallen und klärte sie über die heimische Marktsituation auf.
– Du kannst es ja nicht wissen, meinte er an Myrbäck gewandt, Autos sind zur regionalen Angelegenheit geworden. Ab Haninge aufwärts ist verbotene Zone, da regiert der Balkan den Handel mit gestohlenen Wagen. Die MC-Clubs organisieren die Geschäfte in den südlichen Vororten Stockholms. Der Osten gehört den Balten, Södertälje den Syriern. Leider: Das Business ist erlahmt. Ein Markt mit viel zu vielen Akteuren. Da kommt für jeden von uns immer weniger bei herum. Das Einzige, was noch lohnt: Exklusive Autos für den Export, das Baltikum, die Ukraine. Aber nur die dicksten Schlitten, Xenon-Leuchten und getönte Scheiben, die ganze Kiste bis zum Schiebedach voll mit Technologie, die Konsole muss blinken wie in einem Airbus-Cockpit.
– Da haben wir ja das Richtige für dich mitgebracht, meinte Myrbäck.
Während Forss weiter die Struktur seiner Geschäftskreise erläuterte, über die neuen Märkte Estland und Litauen referierte, saß Holzapfel stumm in seinem Sessel. Er verstand ja auch kein Wort. Seine Hände lagen regungslos auf dem Tisch. Er kaut noch immer an seinen Nägeln, dachte Myrbäck. Er kaut an seinen Nägeln, seit ich ihn kenne.
– Ich zeige euch mal, womit wir die besten Geschäfte machen, sagte Forss. Er stand auf und nahm ein bauchiges Bierglas von einem Regal neben dem Fenster. Seine streng zurückgekämmten Haare glänzten im Tageslicht, als wären sie frisch mit Harzlack bestrichen worden. Das Glas, das er in die Höhe hielt, war mit Dutzenden von schrumpeligen zentimetergroßen Kügelchen gefüllt. Forss löste die Plastikfolie, die über den Rand gespannt war, und legte eine der weißen Kugeln auf die Mitte seiner Handfläche.
– Koks, sagte er. Jeder Ball ein Gramm, jedes Gramm neunhundert
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