Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Versendaal
Vom Netzwerk:
eine Pyramide aussieht, dachte sie, der muss wirklich gründlich sein. Er wurde von der Gemeinschaft dafür bezahlt, dass er die Toiletten im Loppen und in der Grauen Halle saubermachte. Bestimmt eine eklige Arbeit. Aber Pelle bekam viel Geld dafür, hatte ihre Mutter einmal erzählt und gemeint: Für so viel Geld würde auch ich die Kacke von anderen wegputzen.
    Eine Mücke summte an ihrem Ohr. Langsam ging sie durch den Mittelgang des Busses. Sie stieg über einen Haufen aus Matratzen. Sie waren nass, gelb und stanken verschimmelt. Über ihnen stand eine Dachluke offen. Durch sie tropfte der Regen.
    Ihr fiel Lilja ein. Sie hätte sie nicht allein am Wasser stehen lassen dürfen.
    Sie drehte sich, ging zur Fahrertür, sprang aus dem Bus und rannte, so schnell sie es auf ihren nackten Füßen schaffte, mitten durch das Schilfgestrüpp.
    Ihre Schwester saß im Schneidersitz auf einem Flecken Sand und hielt das Modellboot in ihrem Schoß. Mit dem Regen war der Wind verschwunden, kein Hauch war zu spüren, und die schmale Bucht vor ihnen lag blank. Die Blätter der Bäume hingen reglos und schlapp über dem Wasser. Das Boot musste von selbst zu Lilja gesegelt und vor ihren Füßen gestrandet sein.

N eben dem blauen Plastikkorb lag ein kleiner Haufen mit Wäsche. Sassies Unterhose, ihr Büstenhalter. Sie hatte vor ihm geduscht, und im Bad hing noch der Geruch von Vanille, den er von ihr kannte, wenn er ihr nur nah genug kam. Er wischte einen Kreis in den beschlagenen Spiegel, putzte seine Zähne, spülte den Mund und setzte sich auf den Rand der Badewanne. Er beugte sich vor, nahm das Höschen und drückte es auf sein Gesicht. Er schloss die Augen. Es kam ihm vor, als steckte noch ein Rest ihrer Körperwärme in dem Stoff. Ihm wurde heiß im Gesicht. Schnell verließ er das Badezimmer.
    Ein Husten keuchte ihm entgegen, als er in sein Zimmer schlich. Eds Erkältung hatte sich nicht niederringen lassen, es halfen keine Säfte, Wickel, Senfbäder, keine Schulkrankenschwester.
    Myrbäck saß eine Weile im Dunkeln auf der Bettkante des Klappbetts, dann legte er sich neben seinen Sohn. Er küsste ihn auf den Nacken und drückte sein Gesicht an den kleinen, warmen Hinterkopf. Eds Haar schien die Gerüche der Wohnung aufzusaugen: Bratöl, Zigarettenrauch, die eingesperrte, immer wieder geatmete Luft.
    Ed nach Schweden entführt zu haben, war eine Dummheit gewesen. Er hatte seinem Sohn einen Urlaub in Nynäshamn versprochen. Geboten hatte er dann nur Ferien im Auffanglager, eine Entführung, auch wenn Ed sie nicht wirklich zu begreifen schien. Blieb zu hoffen, dass er seiner Mutter nie davon berichten würde. Gut, heute Abend hatten sie Stinkbomben gebastelt. Am Wochenende ein Puzzle gelegt, der Hafen von Oslo auf eintausend Teilen, hatten Fußball auf dem zertretenen Rasen zwischen den Häusern gespielt, Malin zum Handballspiel begleitet und waren, was Ed langweilte, einige Male den Ringvägen am Meer abgewandert.
    Einen einzigen glücklichen Ausflug hatten sie unternommen. Sie waren nach Djurgården gefahren, ins Vasa-Museum gegangen und hatten sich nach einem Rundgang nachdenklich über die schwach beleuchteten Vitrinen gelehnt, in denen die Skelette der ertrunkenen Crew der Vasa aufgebahrt lagen. Keines der Knochengerüste war vollständig, irgendetwas fehlte immer: Ellenbogen, Rippen, Stirnbeine, Unterkiefer, Hände. Der Mensch besteht aus tausend Teilen, hatte Ed gesagt. Und den Verdacht geäußert, die Skelette seien gewiss falsch zusammengeschoben worden. Wer wisse heute noch, welcher Schädel einst zu welchem Rumpf gehörte?
    Ed hatte aufgehört zu husten. Myrbäck rutschte noch ein Stück näher an den kleinen und überhitzten Körper heran. Das wird schon, flüsterte er in sein Ohr, kaum hörbar. Sein Sohn hatte sich, so lange sie in dieser zu engen Wohnung hausten, nicht ein einziges Mal beklagt. Vielleicht war er zu jung sich zu beschweren. Eines Tages aber wird er sich an ihre seltsame, überstürzte Reise nach Nynäshamn erinnern, dachte Myrbäck, so wie er sich überhaupt an mich erinnern wird: Mein schräger Vater mal wieder.
    Myrbäck glitt aus dem Bett, ging ins Bad, pulte eine der Tabletten aus Sassies Kulturtasche hervor, ohne sie sich genau anzuschauen, und schluckte sie. Er warf einen Blick auf ihre Unterwäsche, ging aber doch aus dem Bad, zog sich Jacke und Schuhe an und verließ schleichend die Wohnung. Über den Allkärsplan ging er ins Zentrum, schlenderte an den Schaufenstern des Buchgeschäfts

Weitere Kostenlose Bücher