Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
dem Eingang des Hauses Nummer zwölf zum Stehen kam, fiel ihm auf, dass eine weiche, süße Teigmasse seinen Mund füllte. Vor lauter Schreck hatte er das Schlucken vergessen.
Diese Frau. Er war ihr an einem regnerischen Abend in einem Kino am Hamburger Stadtrand begegnet. Mit Pagenfrisur, im Dufflecoat und zackigen Schrittes war sie durch die Drehtür ins Foyer gestürzt, ihm direkt entgegen.
Christiania, August 1985
Drei Polizisten ritten auf ihren Pferden in die vordere Reihe der Demonstranten. Sie trugen schwarze Handschuhe und schlugen mit Stöcken. Die Demonstranten schrien und stoben auseinander. Ein Junge mit nackter Brust und einer Pelzmütze löste sich aus der Gruppe der Flüchtenden und ging den Reitern entgegen. Er sah klein aus, wie er so alleine dastand. Er sprang vor und krallte sich am Schweif eines braunen Polizeipferdes fest. Der Polizist gab seinem Pferd erst die Sporen, dann versuchte er, den Arm des Jungen mit seinem Stock zu treffen. Er traute sich nicht, kräftig zu schlagen, das konnte sie sehen. Er hätte das Pferd ja am Kopf treffen können.
Der Junge ließ sich nicht abschütteln. Er rannte mit, wenn das Pferd zur Seite auswich, einmal ließ er sich am Schweif mitschleifen. Sie dachte, dass dies dem Pferd wehtun müsse. Plötzlich stieg es auf und warf den Polizisten ab. Er fiel rückwärts auf den Boden mitten unter die Demonstranten. Er versuchte aufzustehen, rutschte aber immer wieder weg. Einer trat ihm auf die Hand mit dem Handschuh und sprang dann schnell zurück. Der Junge mit der Pelzmütze warf seine Arme in die Luft, als hätte er gerade ein Tor für Brøndby Kopenhagen geschossen, und jetzt sind sie dänischer Fußballmeister! Das braune Pferd schnaufte und machte riesige Augen.
Sie war auf dem Weg zu Federica gewesen, als sie Gesänge und Schreie vom Platz vor der Grauen Halle hörte. Sie war dem Lärm gefolgt und sofort an die Mauer der Halle gedrückt worden, weil plötzlich viele Leute um sie drängten.
Jetzt stand sie auf einer Holztreppe, die zu einem Balkon führte. An einer Eisenstange, die über ihr schräg aus der Wand ragte, hing die Flagge von Christiania. Gelbe Punkte auf Rot. Von hier oben aus konnte sie beobachten, dass die Polizisten sich zurückzogen. Sie erinnerte, dass sie Weihnachten mit ihrer Mutter und Lilja zu einem Festessen in der Grauen Halle gegangen war. Sogar Gott war zu diesem Fest eingeladen gewesen, es hatte in großer Schrift auf den Plakaten gestanden. Obwohl alle gewusst hatten, dass er nicht auftauchen würde.
Aus dem, was die Leute um sie herum jetzt sprachen, verstand sie, dass die Polizei angerückt war, um im Løvehuset nach Haschisch zu suchen. Die Männer mit den Helmen waren die Treppen bis zur dritten Etage hinaufgestürmt und hatten versucht, die Tür am Ende des Korridors aufzubrechen. Es waren die Polizisten von der Uro-Patrouille, und sie hatten zwei Schäferhunde mitgebracht. Ihr Bellen lockte sofort Leute von überall her an.
Gemeinsam hatten sie die Patrouille aus dem Haus gejagt.
Der erste Angriff ist abgewehrt, rief eine Frau mit schwarzen Haaren, die neben ihr stand. Jetzt holen die Bullen Verstärkung.
Die Leute in ihrer Nähe bereiteten sich auf einen Angriff vor. Einige liefen zum Einkaufsladen und nahmen alle Eier auf einmal mit. Andere sammelten Pflaumen von der Erde auf und leere Farbdosen. An der Front der Halle wurden die Fenster geöffnet, eines nach dem anderen. Im zweiten Stockwerk stellte jemand Eimer auf die Fensterbretter.
Sie sah einen Haufen Polizisten hinter einer Mauer auf dem Refshalevej anrücken. Sie kamen um die Ecke gebogen und gingen auf die Graue Halle zu. Sie schritten in engen Reihen und im Takt, so als hörten sie eine Musik, die außer ihnen niemand hören konnte.
Steine sausten über den Zaun. Eier flogen. Wasser wurde aus den Eimern in den oberen Fenstern geschüttet, doch meistens durchnässte es nur die eigenen Leute. Aus Furcht vor den Geschossen liefen die Polizisten gebückt. Stück um Stück kamen sie näher, und sie konnte erkennen, dass zerbrochene Eier von ihren Kampfhelmen heruntertropften. Pflaumen segelten durch die Luft. Plötzlich hielt eine Gruppe von Polizisten das nicht länger aus. Ihre Gesichter waren weiß vor Wut. Sie brüllten und stürmten zum Tor des Hauses und griffen den Erstbesten, den sie fanden. Einer hielt ihn fest, und die anderen hauten abwechselnd auf seinen Kopf. Erst als sie ihn hochhoben, konnte sie sein Blut sehen. Es lief auf sein graues
Weitere Kostenlose Bücher