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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Versendaal
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Haaren, das bin ich. Ich sehe verschlissen aus, aber eines habe ich immer gekonnt. Warten. Warten heißt: Die Dinge sind noch nicht entschieden, alles ist fortwährend möglich. Solange ich mich also nicht vorwage, wird sie mich nicht abweisen. Sie sieht mitgenommen aus. Wie sie da mit verschränkten Armen an der Spülmaschine lehnte, in ihren altmodischen blauen Breitcordhosen, die von mageren Hüftknochen herabfallen.
    Ein Rucken des Aufzugs riss Myrbäck aus seinen Gedanken. Er sah sich um. Die Kunstsammlung war während seiner kurzen Abwesenheit um einige Pimmel-Skizzen angewachsen. Und! Mit breitem Stift hatte jemand ein längliches Oval an die Wand gesetzt. Es war eingerahmt von einem stilisierten Haarkranz, eine grobe, jedoch eingängige Darstellung des weiblichen Geschlechts. Er fragte sich, wer hinter dieser Sujeterweiterung stecken mochte.
    Draußen war das Tageslicht abhandengekommen. Myrbäck warf den Müllsack in den Abfallcontainer und schlenderte unschlüssig zwischen den Buden umher, achtsam, Heidi nicht über den Weg zu laufen. Sie würde seine beflissene Erzählung über seine allzu schnelle Rückkehr mit dem Aufwerfen einiger Stirnfalten über einem schmalen Lächeln quittieren. So zeigte sie Herablassung, immer schon.
    Zum Glück traf er weder auf Heidi oder Malin, noch begegnete er Holzapfel. Den hätte er jetzt gern eines gefragt: Was weißt du wirklich über den Tod Stanczaks?
    Ihm waren nur Stunden in Hamburg geblieben, aber er hatte sie genutzt und sich noch einmal in Holzapfels Wohnung getraut. Mit Ausnahme eines verschrumpelten Fingers voller Fliegenlarven und des Kartoffelsacks in der Küche, der zu einem widerlich farblosen Gestrüpp angewachsen war, hatte er alles und jedes Ding unverrückt an seinem Platz gefunden. Er hatte die Werkstatt in der Leverkusenstraße besucht, sie war abgerissen worden, dann dem Erdboden gleichgemacht. Hatte erfahren, dass zwei Polizeibeamte sich bei Maria nach seinem Aufenthaltsort erkundigt hatten, hatte sich bei Bekannten umgehört, im Internet geforscht. Und plötzlich war ihm Zbigniew Nikodem Stanczak erschienen, auf dem Bildschirm eines Internetcafés am Altonaer Bahnhof. Die Porträtfotografie war unscharf, zeigte aber deutlich seine blauen Augen, sein in wirbligen Knäueln ergrautes Haar, die robust geratene Nase und zeugte ansonsten von den feinen Zügen des Polen. Sie war Teil eines Zeugenaufrufs der Polizei. Der in einem unwirklichen Dienstdeutsch eine vage Beschreibung des Tathergangs lieferte, also darüber informierte, dass Stanczak ermordet und verbrannt worden war.
    Er war weniger überrascht, als er es hätte sein sollen. Er hatte geahnt, dass Stanczaks Verschwinden, sein Schweigen, einen Grund nur in seinem Tod hatte haben können. Dass dieser über alle Maßen gewaltsam gekommen war, bestärkte ihn im Entschluss, Hamburg sofort wieder zu verlassen. Zu seinem schwedischen Exil gab es keine Alternative.
    Sorgentrunken kam er vor der Pfeilwurfbude zum Stehen. Sein Blick hangelte sich an den Girlanden entlang, erklomm die Fassade des Hauses Nummer zwölf und warf Anker an den Fenstern des sechsten Stockwerks. Sassie hatte die Lichter gelöscht.
    An einer Waffelbäckerei blieb er vor der Schlange von Wartenden stehen. Als die Reihe an ihn kam, bestellte er einen Crêpe mit Zimt. Misstrauisch beobachtete er, wie ein Mann mit einer gepunkteten Schürze über dem Bierbauch den Teigrechen fahrig ruckend über die Herdplatte schob.
    Myrbäck nahm den Crêpe in einer Serviettenhülle entgegen, trat ein paar Schritte beiseite und biss hinein. Zu dick, zu süß, zu viel Zimt, er hätte es ahnen können. Was verstehen sie in der söderländischen Provinz vom bretonischen Eierkuchen?, fragte er sich, als er plötzlich in ein Gesicht blickte, das er wiedererkannte.
    Es gehörte zu einer Frau, die keine vier Meter von ihm entfernt stand, im flackernden Licht einer Ringwurfbude. Sie sprach konzentriert in ihr Mobiltelefon. Sie hatte eine tiefe Stimme, das konnte er bei all der Tingeltangelmusik um ihn herum hören. Nicht jedoch, was sie sagte.
    Myrbäck drehte sich und trat in den Schatten der Crêperie Paris. Es roch hier stark nach Propangas, allerdings war es der falsche Zeitpunkt, den Mann mit seiner knappen Küchenschürze auf ein Leck in seinem Gasschlauch hinzuweisen. Noch einmal blickte er zu der Frau, sah, dass sie weiter telefonierte, ihm dabei jedoch näher kam. Hastig schlug er einen weiten Bogen um Karussells und Kirmeshütten. Erst als er vor

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