Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
die Küche, warf ihren Bademantel ab und nahm zwei Handvoll Eiswürfel aus dem Gefrierfach. Sie setzte sich auf den Boden zwischen Tisch und Kühlschrank und steckte einen Eiswürfel nach dem anderen in ihren Mund, so schnell es ging. Sie drängelten sich auf ihrer Zunge und klapperten gegen ihre Zähne. Wie ein Blitz traf sie das Gefühl, alle Zähne würden ihr gleichzeitig gezogen. Ohne es zu wollen, öffnete sie den Mund und ließ die Eiswürfel hinauskullern. Sie rutschten über ihren Hals und die Brust, über den Bauch und verschwanden, kaum gebremst durch ihr Schamhaar, zwischen ihren Beinen, bevor sie mit einem letzten schmerzhaften Stechen ihrer Schamlippen auf den Boden rutschten. Immer und immer wieder steckte sie die Eiswürfel in ihren Mund. Spucke lief ihr auf das Kinn, vermischt mit ihren Tränen.
So ist das mit dem Schmerz, dachte Heidi Olofsson, als ihr die Eiswürfel ausgingen. Jetzt ahnte, nein, jetzt wusste sie, wo die Lust in all der Qual liegen mochte. Noch Minuten lag sie auf dem PVC-Boden ihrer Küche, ihr Hintern und die Oberschenkel in einer erkaltenden Pfütze, und eigentlich hätte sie längst frieren müssen. Es sind die Glückshormone, die mich wärmen, dachte sie. Sie waren wie eine Reiterarmee hinter den Schmerzen herangeprescht, hatten sie niedergetrampelt und überfallartig das Kommando über ihren Körper übernommen.
Ihre Zahnreihen glühten nicht mehr, so langsam kehrte das Gefühl in ihre Zunge zurück, und sie spürte, wie sich ihre Mundwinkel in einem viel zu breiten Lächeln aufwärtsgezogen hatten. Wer mich sehen könnte, würde denken, ich lache. Die Schmerzenstränen liefen ihr noch immer, aber niemand, dachte sie, ist je vom Weinen gestorben, und welch ein Glück, dass nicht Malin von der Schule nach Hause gekommen und plötzlich vor ihr aufgetaucht war. Manche Anblicke sollten Eltern ihren Kindern ersparen.
J a, es ist wahr. Seine schönen feuchten Augen sind kein Paar. Das linke ist größer, das rechte ist kleiner, man kann nichts dagegen tun. Das macht die Lust, hat Tante Gunilla ihr einmal erklärt. Wenn im Kopf die Dinge durcheinandergeraten. Rechts und links, unten, oben. Alles kreuz und quer. Gunilla, das wussten alle, war ein versautes Stück.
Sassie legte ihre Arme um Myrbäcks Nacken. Sie wagte nicht, Luft zu holen. Sie sah ihm dabei zu, wie er sich ihrem Schoß zuwandte. Sie spürte seine Hände auf ihrem Rücken, auf ihren Hüften, auf ihrem Bauch. Die erste Stelle, auf die er sie küsste, war ihr Nabel.
Sie löste sein Gesicht von ihrem Bauch und zog ihn zu sich herauf. Sie schob erst seinen Pulli, dann sein Unterhemd mit einer flüssigen Bewegung über seinen Kopf. Öffnete den Gürtel seiner Jeans und ließ sie zu seinen Knien hinabrutschen. Die hellblaue Unterhose ließ sie ihm an. Sie sah ihm dabei zu, wie er sich verlegen durch die Haare fuhr.
Um die Wangen ist er rosenrot. Und seine Ohren glühen. Er strahlt mich an wie ein kleiner Junge. Er kann sein Glück nicht fassen.
Langsam zog sie ihn zum Sofa. Er folgte ihr, die Jeans um die Knöchel und halb hüpfend, wie der Kasperle im Puppentheater, dachte sie, mit einem Knüppel in der Unterhose. Sie ließ sich vor ihm aufs Sofa fallen, halb aufrecht, gegen zwei Kissen gelehnt, halb von ihm abgewendet, ein Knie in seine Richtung gedreht.
Er kroch über sie und steckte seine Zunge in ihren Bauchnabel. Er schob sich höher, leckte an ihren Brustwarzen und drückte ihr mit beiden Händen die Flanken. Sie hörte sein schnelles Atmen und schloss die Augen. Einen Moment lang kam es ihr vor, als segelte sie durch die Luft, ihr ganzer Körper getragen von einem Schwall Heißluft, aber das mochte wohl an den Tabletten liegen oder an ihrer Lust oder an beidem. Damit ihr nicht wieder der Kopf ins Kreiseln geriete, öffnete sie die Augen. Vielleicht spielte das Zwielicht ihr Streiche, aber sie hatte das Gefühl, als sei das Zimmer größer geworden, als hätten sich die Wände und alles Mobiliar zurückgezogen. Hör auf, flüsterte sie in sein Ohr. Da ist jemand.
Myrbäck lag kniend vor und auf ihr, und er brauchte einen Moment, ihre Worte zu begreifen und seine Zunge von ihr zu lassen. Sie blickten beide zur Tür. Sie war einen Spalt geöffnet.
– Wer?, fragte er leise. Wer beobachtet uns?
Langsam einen Fuß vor den anderen setzend, bewegte sie sich zur Tür. Kein Geräusch war zu hören, das ganze Haus lag in Stille. Sie glaubte aber zu spüren, dass dort, nur durch eine hölzerne Wand von ihr getrennt,
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