Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Versendaal
Vom Netzwerk:
Heute Morgen, als er erfuhr, dass die Polizei in unserem Haus war, da hat er Gunilla angebrüllt. Dass sie bloß nach Schweden verschwinden soll. Gunilla hat ihn ausgelacht, und er hat ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Jetzt versteckt sie ein blaues Auge unter dem dicken schwarzen Haar. Ihre Ponyfransen sind aber nicht lang genug, um den Fleck auf der Wange zu verbergen.
    Ihr müsst deinen Vater wieder loswerden, meinte Ove.
    Hahaha, sagte sie. Wie denn.
    Sie standen auf und trotteten in Richtung Garnisonsgraben. Ein paar Teichhühner schwammen im Wasser. Unter einer Gruppe schwarzer Weiden lagen zerdrückte Bierdosen im staubigen Gras. Es roch sauer und nach Kotze, wenn man sie an die Nase hielt. Ove und sie schossen die Dosen eine nach der anderen auf die Teichhühner, doch die wichen schnell aus. Von weit weg hörte sie ein wütendes Schreien. Erschrocken sah sie sich um. Auf der anderen Seite des Ufers stand ein Mann und drohte mit einem Arm in ihre Richtung. Sie sprangen die Böschung hi nauf und tauchten in den Büschen ab.

S ie erwachte. Von irgendwoher hörte sie ein gedämpftes Jammern, und sie brauchte eine Zeit, bis sie verstand, dass es ihre eigene Stimme war.
    Sie lag schief, am Rand des Sofas. Ihre Füße hingen unter der zu kleinen Decke hervor. Sie spürte seine Knie im Rücken. Sie wünschte sich, er würde sie an sich ziehen. Sie nahm seine Hand und legte sie auf ihre linke Brust. Sein Fuß zuckte, sein Kopf sackte zur Seite weg, mehr geschah nicht.
    Mit langsamen Bewegungen, um ihn nicht zu wecken, löste sie sich und setzte sich auf. Der Ofen hatte das Zimmer mit stickiger Wärme gefüllt. Sie betrachtete Myrbäck. Die Flügel der schmalen, langen Nase rührten sich, wenn er lautlos atmete, der Schlaf glättete das Grübchen im schlecht rasierten Kinn. Ein wenig seltsam war, dass er schnurgerade dort lag. Steif wie eine Planke.
    Sie stand auf und ging zur Kommode an der türseitigen Wand. Das Geräusch ihrer Füße auf dem trockenen Holz kam ihr laut und fremd vor. Sie öffnete die oberste Schublade und nahm zwei ihrer Tabletten. Wenn sie so weitermachte, dachte sie, würde sie demnächst wieder im Karolinska Krankenhaus in Solna landen, Neurochirurgie. Vor ein paar Tagen hatte sie ihre Tabletten nicht finden können und war stundenlang durch die Nacht gewandert, umnebelt und wogend, so wie etwas am Grunde des Ozeans. Dann hatte sie auf einem Felsen am Meer gesessen, bis ihr die Zähne vor Kälte klapperten. Ich bin als Schlaflose geboren worden, dachte sie wütend, am Ende werde ich mein Leben damit vergeudet haben, den Schlaf und seine Besinnungslosigkeit zu finden.
    Vielleicht war es das Erbe ihrer Mutter, das diese Gedanken in ihr auslöste – ihr schweres Gemüt erweckte, das zu nichts anderem taugte, als Enttäuschung über das Leben zu empfinden. Ihr Kopf fühlte sich heiß und entzündet an. Er war voll mit all den Dingen, die in der Nacht geschehen waren.
    Er begehrt mich, dachte sie. Welche Teile von mir besonders? Meine langen weißen Arme, die Härchen auf meinem Nacken? Meine Zähne wird er nicht mögen. Mein Busen ist als Ganzes eher mickrig. Zwei spitze Zitronen, nach denen er gegriffen hat, als wären sie sein letzter Halt im Leben.
    Auf dem Weg durch das Zimmer spürte sie, dass es nass zwischen ihren Beinen war. Mit der Hand verwischte sie die klebrige Feuchtigkeit und roch an ihr. Dann noch einmal, länger. Sie nahm ihre blonde Perücke vom Sofarücken und zog sie sich über ihr Haar. Sie brauchte drei Streichhölzer für eine einzige Kerze und wunderte sich, wie Myrbäck so fest schlafen konnte.
    Sie ließ sich in den Sessel gegenüber dem Sofa fallen. Auf einmal kam ihr das Zimmer fremd vor. Das Kerzenlicht fiel auf die vergilbte Tapete, auf die gebleichten Bücherrücken im Schrank, die Lampe mit den Stofflappen und Quasten. Sie fragte sich, wer alles schon hier gesessen und wartend in die Nacht geblickt hatte. Es sind ein paar Kapitänswitwen darunter gewesen, bestimmt. Einsame, putzige Frauenzimmer sind auf den Schäreninseln völlig normal.
    Sie war noch nicht vollständig in Schlaf gefallen, als ein schrilles Quietschen sie aufschrecken ließ. Mäuse? Haben wir Mäuse im Haus?, fragte sie sich benommen. Sie riss die Augen auf und fiel kopfüber in einen Schwindel, so als ginge sie rückwärts auf einer endlosen Rolltreppe.
    Sie horchte. Das Lodern des Feuers im Ofen nebenan war zu hören, sonst nichts. Dann auf einmal dieses Geräusch, schriller noch als beim

Weitere Kostenlose Bücher