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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Versendaal
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in diesem Moment jemand stand. Sacht drückte sie die Tür zu. Über das Schlüsselloch hängte sie das Unterhemd Myrbäcks.
    Er hatte sich währenddessen nackt ausgezogen. Er will keine Zeit verlieren, dachte sie. Aus Furcht, die Unterbrechung könnte ihr einen Vorwand liefern, das Liebesspiel zu beenden. Doch sie freute sich sehr über seinen offenen, roten Mund und den weißen Schimmer der Zähne, die Linien seiner Schultern, seines Armes, seiner Erektion.
    Sie ging nah an ihn heran und küsste ihn. Mit der einen Hand griff sie nach seinem Schwanz. Für ihre kalten Hände fühlte es sich zu warm an. Das schien ihn nicht zu stören. Jedenfalls klang das Stöhnen, das er leise in ihr Ohr hauchte, alles andere als schmerzvoll. Mit der anderen Hand strich sie langsam über die fröstelnde Haut seiner Lenden.

Christiania, September 1985
    Zwei Polizisten in grauer Uniform und eine Frau waren gekommen. Die Frau trug eine Sonnenbrille, ging durch alle Zimmer und guckte auch in den Schränken nach. Manchmal zog sie sogar eine Schublade auf. Die Polizisten sahen ihr dabei zu, aber sie sprachen kein Wort. All dies hat Catrine ihnen am Morgen erzählt, und dass die Frau von der Sozialverwaltung war.
    Sie haben uns nicht gefunden und sind wieder weg, rief sie Ove zu. Glück gehabt!
    Ove nickte mit dem Kopf, aber sie sah ihm doch an, dass er nicht zuhörte. Er war damit beschäftigt, sein Ausgrabungsgeschirr zu putzen. Seine Hufzange, die er in einem der alten Pferdeställe gefunden hatte, und eine kleine Gartenschaufel, um die sie ihn beneidete, weil sie sich zusammenklappen ließ. Er hatte sie auf Frelsers Friedhof hinter einem Grabstein entdeckt und einfach mitgenommen.
    Sie lag neben ihm im Gras. Über ihr hingen schrumpelige, braune Kugeln in einem ausgedorrten Apfelbaum. Sie sind aus irgendeinem uralten Sommer übrig geblieben, dachte sie. Es war so still, dass man fast glauben konnte, man liege weit entfernt von Kopenhagen in irgendeinem Märchenwald.
    Sie erzählte Ove, wie oft sie umgezogen ist. Damit die Polizei sie nicht findet.
    Am Anfang sind wir in einem Zimmer beim Fredens Ark untergekommen. In einem großen, grauen Gebäude mit Fluren düster wie die Kohlegruben von Kiruna. Dann haben wir eine Zeitlang in der Kaserne in der Bådsmandsstræde gewohnt, doch es fehlte der Strom und roch nach schimmeligem Brot. Jetzt leben wir im Mælkebøtten, Haus Nummer sieben. Bis die Leute, die dort wohnen, wieder zurückkehren. Sie sind mit ihrem klapprigen Auto bis nach Amsterdam gefahren.
    Die kommen vielleicht gar nicht wieder, meinte Ove. Da landen die meisten im Gefängnis, das kennt man doch.
    Manchmal wachte sie in der Nacht auf und wusste nicht, wo sie war. So oft waren sie in den letzten Wochen umgezogen. Morgen aber werden wir wieder in unser Haus ziehen. Ihr Vater hat es versprochen.
    In der Sonne wurde ihr die Kopfhaut warm. Sie drehte sich auf den Bauch und sah einem braunen Käfer dabei zu, wie er im Kreis zwischen Grashalmen und Blättern umherwanderte. Er weiß nicht wohin, dachte sie. Auf seinen Runden kam er ihr so nahe, dass sie die Härchen auf seinen zittrigen Fühlern erkennen konnte.
    Bei Catrine und Per durfte sie nicht mehr über Nacht bleiben. Bei uns ist es eng geworden, hatte Catrine ihr erklärt. Sie und Per haben einen kleinen Jungen bekommen. Er hatte riesige Füße, und sein Gesicht sah zerquetscht und wütend aus. Das kommt, weil er zu lange in meinem Bauch war, meinte Catrine.
    Ove hatte seine Funde auf einem Geschirrtuch ausgelegt: Ein Kerzenhalter aus Holz. Ein dicker Filzstift. Eine lehmverschmierte Sprungfeder. Langweiliges Zeugs, sagte sie.
    Ove nickte und ließ sich auf den Rücken fallen. Er rupfte einen Grashalm nach dem anderen aus, biss ihre oberen Enden ab und pustete sie in die Luft. Ein paar von ihnen trudelten auf ihren Bauch herab.
    Seit Tagen bohrte er zwischen der Fakir-Schule und der Grauen Halle in allem herum, was nach einem Hügel aussah. Weil er gehört hat, dass der Abfall und die Überbleibsel der Garnison dort verbuddelt wurden. Meist stieß er nur auf Steine und Geröll. Er träumte davon, eine Pistole auszugraben. Oder wenigstens ein Bajonett.
    Ove stand auf und beugte sich über sie. Er hielt den Filzstift in der Hand und spuckte auf die Spitze. Dann hielt er ihren Kopf und malte ein Auge auf ihre Stirn. Es sieht echt aus, sagte er. Am Ende malte er noch falsche Brauen dazu. Weil das vor Unglück schützt.
    Mein Vater ist gefährlich, sagte sie leise in sein Ohr.

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