Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
große Sache. Jemand kam von der Veranda herein, schnüffelte in meinem Arbeitszimmer herum und versuchte erfolglos, sich in meinen Computer einzuloggen. Ich kann froh sein, dass die Person nicht die Festplatte mitgenommen hat.«
»Patrik dreht durch, wenn er davon erfährt. Und falls er erfährt, dass ich etwas gewusst habe, reißt er mir den Kopf ab.«
Erica seufzte. »Ich erzähle es ihm. In meinem Arbeitszimmer befindet sich offenbar etwas so Wichtiges, dass jemand dafür einen Einbruch riskiert. Das ist doch das Interessante. Ich schätze, es geht um diesen Zettel.«
»Würde John Holm wirklich so etwas machen? Für Schwedens Freunde steht einiges auf dem Spiel. Stell dir vor, es kommt raus, dass er bei einem Polizisten eingebrochen hat.«
»Wer weiß, im Notfall wäre er vielleicht schon zu so etwas fähig, aber ich habe die Sache jetzt an Kjell übergeben. Er soll rausfinden, was der Zettel zu bedeuten hat.«
»Gut«, sagte Gösta. »Und du erzählst es Patrik, wenn er heute Abend nach Hause kommt. Sonst komme ich in Teufels Küche.«
»Ja, ja«, erwiderte sie müde. Sie wäre lieber drum herumgekommen, aber es musste sein.
Gösta schüttelte bedächtig den Kopf. »Ich frage mich, ob Patrik und Paula in Göteborg mehr erfahren. So langsam kommt mir mein Optimismus abhanden.«
»Ja, aber wir müssen auch auf Schrott-Olle hoffen.« Erica war froh, dass er das Thema gewechselt hatte.
»Hoffen kann man immer«, sagte Gösta.
St. Jörgens Klinik 1936
W ir halten es für unwahrscheinlich, dass Ihre Mutter in absehbarer Zeit entlassen wird.« Dr. Jansson war ein weißhaariger älterer Mann, dessen langer Bart ihm Ähnlichkeit mit dem Weihnachtsmann verlieh.
Laura seufzte erleichtert auf. Ihr Leben verlief endlich in geordneten Bahnen: Sie hatte eine gute Arbeitsstelle und eine neue Wohnung. Als Untermieterin von Tante Bergström am Galärbacken hatte sie zwar nur ein kleines Zimmer, aber das ganz für sich allein. Es war so hübsch eingerichtet wie die Puppenstube, die einen Ehrenplatz auf der hohen Kommode neben dem Bett erhalten hatte. Das Leben war so viel schöner ohne Dagmar. Die saß jetzt schon seit drei Jahren in einer geschlossenen Abteilung der St. Jörgens Klinik in Göteborg. Für Laura war es eine Befreiung, sich nicht mehr ständig fragen zu müssen, was Dagmar wohl als Nächstes anstellen würde.
»Was hat meine Mutter eigentlich?« Sie versuchte, einen mitfühlenden Eindruck zu machen.
Wie immer hatte sie sich hübsch angezogen und saß mit elegant übereinandergeschlagenen Beinen und der Handtasche auf dem Schoß adrett da. Sie war zwar erst sechzehn Jahre alt, fühlte sich aber viel älter.
»Eine bestimmte Diagnose konnten wir leider nicht stellen, aber sie leidet wahrscheinlich an einer sogenannten Nervenschwäche. Die Behandlung hat leider kaum Besserung gebracht. Ihre Mutter hängt an ihren Wahnvorstellungen von Hermann Göring. Es ist gar nicht so ungewöhnlich, dass Menschen mit schwachen Nerven sich in ihrer Phantasie an Menschen klammern, über die sie etwas in der Zeitung gelesen haben.«
»Ja, meine Mutter hat von ihm geredet, seit ich denken kann«, sagte Laura.
Der Arzt sah sie mitleidig an.
»Mir ist klar, dass das Fräulein keine leichte Kindheit hatte, aber jetzt machen Sie einen guten Eindruck auf mich. Sie sind nicht nur hübsch, sondern scheinen auch ein vernünftiges Mädchen zu sein.«
»Ich habe getan, was ich konnte«, erwiderte sie schüchtern, spürte jedoch einen bitteren Gallegeschmack auf der Zunge, weil ihre Kindheitserinnerungen sie wieder quälten.
Es war ihr ein Gräuel, wenn sie ihre Gedanken nicht bezwingen konnte. Meistens gelang es ihr, sie in den hintersten Winkel ihres Bewusstseins zu verdrängen, und sie dachte selten an ihre Mutter und die kleine dunkle Wohnung, in der es immer nach Schnaps stank, so viel sie auch putzte. Auch die Kraftausdrücke verbannte sie aus ihrem Wortschatz. Niemand rief ihr mehr die Mutter ins Gedächtnis, und man begegnete Laura mit Respekt, weil sie immer fleißig, ordentlich und gewissenhaft war. Ihr wurden keine hässlichen Wörter hinterhergerufen.
Doch die Angst war noch da. Die Angst, dass Mutter entlassen werden und alles kaputtmachen könnte.
»Möchten Sie Ihre Mutter sehen? Ich würde Ihnen von einem Treffen abraten, aber …« Dr. Jansson sah ratlos aus.
»O nein, das lasse ich lieber bleiben. Mutter … regt sich immer so auf.« Laura konnte sich an jedes Wort erinnern, das Mutter ihr beim letzten
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