Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
ihm ihren Verdacht, es könnte eingebrochen worden sein, verschwiegen hatte.
Als sie sich Anrås näherten, beschloss sie, sich vorerst keine Gedanken mehr über die Person zu machen, die ihr Arbeitszimmer durchwühlt hatte. Eigentlich wusste sie ja bereits, wer es gewesen war. Oder besser gesagt: Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder war es jemand gewesen, der glaubte, sie habe etwas Heikles über die Ereignisse im Ferienheim herausgefunden, oder es hatte etwas mit ihrem Besuch bei John Holm und dem entwendeten Zettel zu tun. In Anbetracht des Zeitpunkts hielt sie Letzteres für wahrscheinlicher.
»Hast du die ganze Rasselbande mitgebracht?« Gösta öffnete die Tür. Das Glitzern in seinen Augen machte den ruppigen Ton wieder wett.
»Falls du irgendwelche Erbstücke besitzt, um die du dir Sorgen machst, solltest du sie jetzt in Sicherheit bringen.« Erica zog den Kindern die Schuhe aus.
Die Zwillinge klammerten sich verschüchtert an ihre Beine, aber Maja streckte strahlend die Arme aus. »Onkel Gösta!«
Er erstarrte einen Augenblick und schien nicht genau zu wissen, wie er auf die überschwängliche Sympathiebekundung reagieren sollte. Dann wurden seine Züge sanfter, und er nahm sie auf den Arm.
»Du bist aber ein süßes kleines Mädchen.« Er trug sie ins Haus und sagte, ohne sich umzudrehen: »Ich habe den Tisch im Garten gedeckt.«
Mit den Zwillingen auf den Hüften folgte ihm Erica. Neugierig betrachtete sie das Innere von Göstas Häuschen, das praktischerweise direkt neben dem Golfplatz lag. Sie wusste nicht genau, was sie erwartet hatte, aber dies hier war keine trostlose Junggesellenbude, sondern ein hübsches und gemütliches Zuhause mit gesunden Topfpflanzen vor den Fenstern. Auch der Garten hinter dem Haus wirkte erstaunlich gepflegt. Er war allerdings auch so winzig, dass er keinen großen Aufwand erforderte.
»Dürfen sie Sirup trinken und Zimtschnecken essen, oder seid ihr so Eltern, die ihren Kindern nur gesundes Zeug aus dem Bioladen zu essen geben?« Gösta setzte Maja auf einen Stuhl.
Erica konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sie fragte sich, ob er in seiner Freizeit heimlich Erziehungsratgeber las.
»Zimtschnecken und Sirup werden dankbar angenommen.« Sie setzte die Zwillinge auf den Boden. Sofort begannen die beiden, sich langsam von ihr zu entfernen.
Maja erblickte einige Himbeersträucher, rutschte juchzend vom Stuhl und rannte darauf zu.
»Darf sie Himbeeren pflücken?« Erica kannte ihre Tochter gut und wusste, dass in Kürze keine einzige reife Beere mehr am Strauch hängen würde.
»Lass sie essen.« Gösta schenkte sich und Erica Kaffee ein. »Sie erfreuen ohnehin nur die Vögel. Maj-Britt hat immer Marmelade und Sirup gekocht, aber das liegt mir nicht. Ebba …« Er kniff die Lippen zusammen und rührte ein Stück Würfelzucker in seinen Kaffee.
»Ja? Was ist mit Ebba?« Sie dachte an Ebbas Gesichtsausdruck während der Rückfahrt von Valö. Erleichterung und Sorge hatten sich abgewechselt, und Ebba schien zwischen der Sehnsucht nach der Insel und dem Wunsch, von dort wegzukommen, hin- und hergerissen gewesen zu sein.
»Ebba hat damals auch alle Himbeeren aufgegessen«, sagte Gösta widerstrebend. »In dem Sommer, als wir sie bei uns hatten, gab es weder Marmelade noch Sirup. Maj-Britt war trotzdem froh. Es war so schön, mit anzusehen, wie Ebba da in ihrer Windel stand und sich mit Himbeeren vollstopfte, bis ihr der Saft über das Bäuchlein tropfte.«
»Ebba hat bei euch gewohnt?«
»Ja, aber nur einen Sommer. Danach ist sie zu der Familie in Göteborg gezogen.«
Erica schwieg eine Weile, um zu begreifen, was Gösta da gesagt hatte. Seltsam. Während ihrer Recherchen hatte sie keinen Hinweis darauf entdeckt, dass Ebba bei Gösta und Maj-Britt gewohnt hatte. Auf einmal war ihr klar, warum Gösta so engagiert an dem Fall arbeitete.
»Habt ihr nicht überlegt, ob ihr sie behalten solltet?«, fragte sie schließlich.
Gösta starrte in seine Tasse. Er rührte immer noch darin herum. Einen Moment lang bereute sie, dass sie die Frage gestellt hatte. Obwohl er sie nicht ansah, meinte sie zu erahnen, dass er feuchte Augen bekommen hatte. Dann räusperte er sich und schluckte.
»Und ob. Wir haben viel darüber nachgedacht und geredet, aber Maj-Britt war der Meinung, dass wir ihr nicht reichen würden. Und ich ließ mich überzeugen. Wir hatten wahrscheinlich das Gefühl, ihr nicht genug geben zu können.«
»Hattet ihr Kontakt zu ihr, nachdem sie nach
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