Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
Gösta packte sie am Arm und zischte:
»Ganz ruhig. Wir gucken zuerst aus dem Fenster. Vielleicht können wir erkennen, wo er hinwill.«
»Aber Anna …« Verzweifelt versuchte sie, sich loszureißen.
Gösta gab nicht nach. »Denk lieber nach, bevor du voreilig handelst. Wir schauen aus dem Fenster, und dann gehen wir runter. Das sind bestimmt Patrik und die anderen. Die helfen uns.«
»Okay.« Erica stand auf. Ihre Beine fühlten sich taub und wacklig an.
Vorsichtig spähten sie und Gösta hinter Mårten her.
»Siehst du was?«
»Nein«, sagte Gösta. »Du?«
»Er kann doch nicht zum Steg gegangen sein. Da läuft er denen, die hierherkommen, direkt in die Arme.«
»Er muss hinterm Haus sein. Wohin hätte er sonst gehen sollen?«
»Ich kann ihn jedenfalls nicht entdecken. Ich gehe jetzt runter.«
Auf Zehenspitzen ging Erica zur Treppe und in den Hausflur hinunter. Es war vollkommen still, aber wer immer ihnen zu Hilfe kam, würde sich natürlich so lautlos wie möglich anschleichen. Sie blickte durch die offene Haustür und hätte beinahe angefangen zu weinen. Draußen war niemand.
Im selben Moment bewegte sich etwas zwischen den Bäumen. Sie kniff die Augen zusammen und atmete erleichtert auf. Patrik. Dicht hinter ihm kam Martin mit zwei weiteren Personen. Sie brauchte eine Weile, bis sie Josef Meyer erkannt hatte. Neben ihm ging eine schick gekleidete Frau. Konnte das Ia Kreutz sein? Sie winkte, um Patrik auf sich aufmerksam zu machen, und ging wieder ins Haus.
»Wir bleiben hier«, sagte sie zu Gösta, der gerade herunterkam.
Sie stellten sich an die Wand, damit sie nicht durch die Tür gesehen werden konnten. Mårten konnte schließlich überall da draußen sein, und sie wollte nicht riskieren, ihm als lebende Zielscheibe zu dienen.
»Wo kann er nur abgeblieben sein?« Gösta blickte sie an. »Vielleicht ist er immer noch hier drin?«
Er hatte recht. Entsetzt blickte sich Erica um, als könnte Mårten jeden Moment auftauchen und sie erschießen. Doch er war nirgendwo zu sehen.
Endlich waren Patrik und Martin bei ihnen angekommen, und sie sah Patrik an. Er wirkte zugleich erleichtert und besorgt.
»Mårten?«, flüsterte er. Schnell erklärte Erica ihm, was passiert war, seit Mårten wusste, dass Hilfe für sie nahte.
Patrik nickte. Mit erhobenen Waffen drehten er und Martin hastig eine Runde im Erdgeschoss. Als sie zurückkamen, schüttelten sie den Kopf. Ia und Josef standen regungslos dabei. Erica fragte sich, was sie hier machten.
»Ich weiß nicht, wo Anna und Ebba sind. In seinem Wahn hat Mårten gefaselt, er müsse sie bewachen. Könnte er sie irgendwo eingesperrt haben?« Sie schluchzte auf.
»Da geht es in den Keller.« Josef zeigte auf eine Tür im Flur.
»Was ist da unten?«, fragte Gösta.
»Das besprechen wir später, dafür ist jetzt keine Zeit«, sagte Patrik.
»Ihr bleibt hier oben.« Er sah Erica an, die neben Ia stand.
Erica wollte widersprechen, doch dann sah sie Patriks Gesichtsausdruck. Es wäre sinnlos gewesen, mit ihm zu diskutieren.
»Wir gehen runter.« Patrik warf Erica einen letzten Blick zu. Sie spürte, dass er vor dem, was er da unten vorfinden würde, genauso viel Angst hatte wie sie.
Valö Ostersonnabend 1974
R une erwartete, dass alles so war wie immer. Die meisten Schüler waren über die Ferien nach Hause gefahren. Sie hatte vorsichtig gefragt, ob sie die übrigen Jungen nicht zum Essen einladen wollten, aber Rune hatte sich nicht einmal dazu herabgelassen, ihr zu antworten. Selbstverständlich war das Osteressen nur für die Familie bestimmt.
Zwei Tage lang hatte sie in der Küche gestanden: Lammbraten, gefüllte Eier, pochierter Lachs … Die Liste mit Runes Wünschen war endlos. Doch was hieß Wünsche? Im Grunde stellte er Forderungen.
Vor ihrem ersten gemeinsamen Osterfest hatte er ihr einen Zettel in die Hand gedrückt. »Diese Gerichte hat Carla immer zubereitet. Jedes Jahr.«
Inez wusste, dass es keinen Sinn gehabt hätte zu protestieren. Wenn Carla es so gemacht hatte, musste es eben sein. Wie hätte sie auf die Idee kommen können, etwas anders als sie zu machen. Gott bewahre!
»Setzt du Ebba in den Kinderstuhl, Johan?« Sie stellte den großen Lammbraten auf den Tisch und betete zu Gott, dass er ihr gelungen war.
»Muss das Kind dabei sein? Es stört doch nur.« Annelie schlenderte herein und setzte sich.
»Was soll ich denn deiner Meinung nach mit ihr machen?«, antwortete Inez barsch. Nach all der Plackerei in der Küche stand ihr
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