Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
Hinweise, um weiter zu ermitteln.«
Patrik zeigte auf Gösta, der mit einem Folienschreiber in der Hand vor dem Whiteboard stand.
»Gösta sucht gerade die Unterlagen über die Familie heraus, die damals auf Valö verschwunden ist. Er …«, begann Patrik, wurde jedoch unterbrochen.
»Ich weiß, wovon du redest. Diese alte Geschichte hat schließlich jeder mitbekommen. Aber was hat sie mit der Sache zu tun?«, fragte Mellberg. Er beugte sich hinunter und kraulte seinen Hund Ernst, der unter dem Stuhl lag.
»Das wissen wir noch nicht«, seufzte Patrik. Es nervte ihn, immer mit Mellberg diskutieren zu müssen, der die Dienststelle zwar theoretisch leitete, die Verantwortung jedoch in der Praxis gern Patrik überließ. Hauptsache, er selbst erntete hinterher die Lorbeeren. »Wir ermitteln in diesem Fall zunächst ganz unvoreingenommen. Es ist doch trotz allem merkwürdig, dass so etwas genau dann passiert, wenn die zurückgelassene Tochter nach fünfunddreißig Jahren wiederkommt.«
»Die haben den Kasten bestimmt selbst angezündet, um an das Geld von der Versicherung zu kommen«, sagte Mellberg.
»Ich verschaffe mir gerade einen Überblick über ihre finanzielle Situation.« Martin, der neben Annika saß, wirkte ungewöhnlich gedrückt. »Bis morgen müsste ich einiges vorzuweisen haben.«
»Gut. Ihr werdet sehen, das Rätsel löst sich dann von ganz allein. Die Leute merken, dass die Renovierung viel zu teuer wird, und beschließen, die Bude lieber abzufackeln und noch einen Reibach damit zu machen. Das habe ich in Göteborg oft erlebt.«
»Wie gesagt, wir versteifen uns noch nicht auf einen Erklärungsansatz«, sagte Patrik. »Jetzt hören wir mal, woran Gösta sich noch erinnert.«
Er setzte sich und gab Gösta ein Zeichen. Was Erica ihm gestern auf der Bootsfahrt im Schärengarten erzählt hatte, war faszinierend. Nun war er gespannt auf Göstas Bericht über den alten Fall …
»Ihr wisst ja bereits einiges über die Sache, aber wenn ihr nichts dagegen habt, fange ich ganz von vorn an.« Gösta sah sich um, alle am Tisch nickten.
»Am 13. April 1974, dem Ostersonnabend, rief jemand bei der Polizei Tanum an und sagte, die Kollegen sollten zum Internat auf Valö kommen. Die Person sagte nicht, was passiert war, sondern legte einfach auf. Der damalige Chef hatte den Anruf entgegengenommen, konnte aber nicht sagen, ob eine Frau oder ein Mann am Telefon gewesen war.« Gösta verstummte für einen Moment und schien sich die Vergangenheit noch einmal zu vergegenwärtigen. »Mein Kollege Henry Ljung und ich wurden beauftragt, hinauszufahren und zu untersuchen, worum es ging. Eine halbe Stunde später waren wir vor Ort und fanden eine sehr seltsame Situation vor. Im Esszimmer war der Tisch gedeckt, und das Essen war bereits zur Hälfte verzehrt, aber von der Familie, die dort wohnte, war nichts zu sehen. Nur Ebba, ein einjähriges Mädchen, krabbelte im Raum herum. Der Rest der Familie hatte sich offenbar in Luft aufgelöst. Als wären sie gerade eben vom Tisch aufgestanden und mir nichts, dir nichts verschwunden.«
»Puff«, machte Mellberg, und Gösta warf ihm einen bösen Blick zu.
»Wo waren denn die Schüler?«, fragte Martin.
»Die meisten befanden sich während der Osterferien zu Hause bei ihren Eltern. Nur wenige waren auf Valö geblieben, waren aber zunächst nicht zu sehen. Erst nach einer Weile tauchten fünf Jungs in einem Boot auf. Sie sagten, sie wären für ein paar Stunden zum Fischen hinausgefahren. In den folgenden Wochen wurden sie gründlich verhört, sagten aber alle das Gleiche aus: Sie seien nicht zu dem feierlichen Mittagessen der Familie eingeladen worden und daher mit dem Boot hinausgefahren. Beim Abschied sei alles noch ganz normal gewesen.«
»Lag das Boot der Familie noch unten am Anlegesteg?«, fragte Patrik.
»Ja. Wir haben auch die ganze Insel durchkämmt, fanden aber keine Spur von den Leuten.« Gösta schüttelte den Kopf.
»Wie viele waren sie eigentlich?« Mellberg schien gegen seinen Willen neugierig geworden zu sein. Er beugte sich interessiert vor.
»Die Familie bestand aus zwei Erwachsenen und vier Kindern. Eins davon war die kleine Ebba, also sind zwei Erwachsene und drei Kinder verschwunden.« Gösta drehte sich um und schrieb etwas an die Tafel. »Rune Elvander, der Vater, war Leiter des Internats und ein ehemaliger Militär. Er hatte die Schule für Jungen gegründet, deren Eltern hohe Ansprüche an Bildung stellten und strenge Disziplin forderten.
Weitere Kostenlose Bücher