Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
Erstklassiger Unterricht, charakterstählendes Regelwerk und kräftigende Aktivitäten an der frischen Luft für Jungen aus wohlhabenden Familien. So wurde die Schule in der Informationsbroschüre angepriesen, wenn ich mich recht entsinne.«
»Meine Güte, das klingt ja nach den zwanziger Jahren«, sagte Mellberg.
»Es hat immer Eltern gegeben, die sich nach den alten Zeiten zurücksehnen, und an genau diese Leute richtete sich Rune Elvander.« Gösta fuhr mit seinem Bericht fort: »Ebbas Mutter hieß Inez. Sie war dreiundzwanzig Jahre alt, als sie verschwand, also wesentlich jünger als Rune, der ja bereits um die fünfzig war. Rune hatte drei Kinder aus einer früheren Ehe: Claes, neunzehn, Annelie, sechzehn, und Johan, neun Jahre alt. Carla, die Mutter der drei Älteren, war ein gutes Jahr vor seiner Heirat mit Inez gestorben. Nach Aussagen der fünf Schüler gab es anscheinend eine Reihe von Problemen in der Familie, aber mehr haben wir nicht aus ihnen herausbekommen.«
»Wie viele Jungen besuchten das Internat?«, fragte Martin.
»Das schwankte ein wenig, ungefähr zwanzig. Außer Rune gab es noch zwei weitere Lehrer, aber die hatten in den Ferien frei.«
»Ich nehme an, sie hatten für den Zeitpunkt des Verschwindens auch ein Alibi?« Patrik sah Gösta aufmerksam an.
»Ja. Der eine war über Ostern zu seiner Familie nach Stockholm gefahren. Bei dem anderen waren wir anfangs etwas argwöhnisch, weil er sich wand wie ein Aal und nicht damit herausrücken wollte, wo er sich aufgehalten hatte. Dann stellte sich heraus, dass er mit seinem Liebsten in die Sonne gefahren war, daher die Heimlichtuerei. Er wollte nicht, dass seine Homosexualität ans Licht kam, und hatte sie in der Schule gut geheim gehalten.«
»Und die Schüler, die in den Ferien zu ihren Eltern gefahren waren? Habt ihr die auch überprüft?«, fragte Patrik.
»Jeden einzelnen. Und alle Familien bestätigten, dass die Kinder über Ostern zu Hause gewesen waren und sich nicht in der Nähe der Insel aufgehalten hatten. Im Übrigen schienen alle Eltern mit dem Einfluss der Schule auf ihre Kinder sehr zufrieden zu sein. Sie regten sich furchtbar auf, weil sie ihre Sprösslinge nun nicht mehr ins Internat zurückschicken konnten. Ich hatte den Eindruck, viele von ihnen fanden es sogar anstrengend, dass die Kinder über Ostern zu Hause waren.«
»Okay, ihr habt also keine konkreten Hinweise darauf entdeckt, dass der Familie etwas zugestoßen war?«
Gösta schüttelte den Kopf. »Wir waren damals natürlich noch nicht so gut ausgerüstet und auch nicht auf dem Wissensstand von heute, und entsprechend war auch die technische Untersuchung. Trotzdem taten alle ihr Bestes, aber es gab überhaupt keine Spuren. Oder besser gesagt: Wir haben keine gefunden. Ich hatte allerdings immer das dumpfe Gefühl, dass wir etwas übersehen haben.«
»Was ist mit dem Mädchen passiert?«, fragte Annika, der jedes Mal das Herz blutete, wenn sie von einem Kind mit schwerem Schicksal hörte.
»Da sie keine lebenden Verwandten mehr hatte, wurde Ebba in einer Pflegefamilie in Göteborg untergebracht. Soweit ich weiß, wurde sie von den Leuten später adoptiert.« Gösta blickte auf seine Hände. »Ich wage zu behaupten, dass wir unsere Arbeit gut gemacht haben. Wir sind allen möglichen Anhaltspunkten nachgegangen und haben wirklich versucht, ein Motiv zu erkennen. Wir wühlten in Runes Vergangenheit, aber er hatte keine Leichen im Keller. An jede Tür in ganz Fjällbacka haben wir geklopft und gefragt, ob irgendjemandem etwas Ungewöhnliches aufgefallen war. Wir näherten uns dem Fall aus vielen verschiedenen Richtungen, aber das hat zu nichts geführt. Ohne Beweise ließ sich unmöglich sagen, ob sie ermordet oder entführt oder aus freien Stücken untergetaucht waren.«
»Zweifellos sehr faszinierend.« Mellberg räusperte sich. »Ich verstehe allerdings noch immer nicht, warum wir uns weiterhin damit beschäftigen sollen. Es gibt doch keinen Grund, die Dinge unnötig kompliziert zu machen. Entweder haben diese Ebba und ihr Kerl das Feuer selbst gelegt, oder ein paar Kinder haben sich einen dummen Streich erlaubt.«
»Dafür erscheint mir die Sache zu aufwendig«, sagte Patrik. »Wenn Jugendliche aus Langeweile etwas anstecken, tun sie das eher im Ort und fahren nicht erst mit dem Boot nach Valö. Außerdem geht Martin ja gerade der Frage nach, ob es sich um einen Versicherungsbetrug handelt. Je mehr ich über diesen alten Fall erfahre, desto sicherer bin ich mir,
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