Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
aßen und tranken viel und gut, sie sangen, sie lachten und sie tanzten bis zum Morgengrauen. Sie wünschte, ihr Leben wäre genauso, aber noch musste sie sich damit begnügen, diese Glücklichen zu bedienen und so wenigstens für einen Moment mit ihnen zusammen zu sein.
Dieses Fest schien etwas ganz Besonderes zu werden. Sie und die anderen Angestellten waren schon am Vormittag auf die Insel vor Fjällbacka gebracht worden, und dann war das Schiff den ganzen Tag hin- und hergependelt, um das Essen, den Wein und schließlich die Gäste abzuholen.
»Dagmar! Du musst noch Wein aus dem Keller holen!«, rief Frau Doktor Sjölin, und Dagmar machte sich sofort auf den Weg.
Sie war darauf bedacht, sich mit der Dame des Hauses gut zu stellen, denn sie wollte um jeden Preis vermeiden, dass Frau Sjölin misstrauisch wurde. Sonst hätte diese nämlich bald bemerkt, dass ihr Mann Dagmar auf solchen Festen nicht nur Blicke hinterherwarf, sondern auch handgreiflich wurde. Manchmal, wenn Frau Doktor sich hingelegt hatte und die übrigen Gäste zu betrunken oder zu beschäftigt mit ihren eigenen Vergnügungen waren, um noch mitzubekommen, was um sie herum vor sich ging, gewährte Dagmar ihm auch sehr viel mehr als einen Kniff in den Po. Nach so einer Gelegenheit steckte der Doktor ihr heimlich einen Bonus zu, wenn der Lohn ausgezahlt wurde.
Eilig schnappte sie sich vier Flaschen Wein und hastete damit nach oben. Sie hielt sie fest an die Brust gedrückt, doch dann stieß sie frontal mit jemandem zusammen, und die Flaschen fielen zu Boden. Zwei von ihnen zerbrachen. Verzweifelt dachte Dagmar daran, dass man sie ihr bestimmt vom Lohn abziehen würde. Tränenüberströmt sah sie den Mann an, der vor ihr stand.
»Entschuldigung!« Das Wort klang seltsam aus seinem Mund.
Ihre Bestürzung verwandelte sich in Wut.
»Was machen Sie denn da? Sie können doch hier nicht einfach vor der Tür stehen!«
»Entschuldigung«, wiederholte er. »Ich verstehe nicht.«
Plötzlich begriff Dagmar, wer er war. Sie war mit dem Ehrengast des Abends zusammengeprallt: dem deutschen Kriegshelden, dem Flieger, der im Krieg so tapfer gekämpft hatte, seinen Lebensunterhalt jedoch seit der schmerzlichen Niederlage Deutschlands als Schauflieger bestreiten musste. Den ganzen Tag war über ihn getuschelt worden. Angeblich hatte er eine Zeitlang in Kopenhagen gelebt, war aber aufgrund eines Skandals gezwungen gewesen, nach Schweden zu kommen.
Dagmar starrte ihn an. Er war der eleganteste Mann, den sie je gesehen hatte. Er schien längst nicht so betrunken zu sein wie einige andere Gäste, und er sah sie mit klarem Blick an. Eine ganze Zeit standen sie da und betrachteten sich. Dagmar richtete sich auf. Sie wusste, dass sie schön war. Viele Männer hatten ihr das bestätigt, wenn sie ihren Körper streichelten und ihr stöhnend Worte ins Ohr flüsterten. Aber noch nie zuvor war sie so froh über ihr Aussehen gewesen.
Ohne den Blick von ihr abzuwenden, bückte sich der Flieger und sammelte die Scherben auf. Vorsichtig trug er sie zu einem kleinen Gehölz und warf sie dort weg. Dann legte er den Zeigefinger auf die Lippen, stieg in den Keller hinunter und holte zwei neue Flaschen. Dagmar lächelte dankbar und ging auf ihn zu, um ihm die Flaschen abzunehmen. Ihr Blick fiel auf seine Hände. Erst jetzt bemerkte sie, dass er am linken Zeigefinger blutete.
Sie gab ihm zu verstehen, dass sie sich seine Hand anschauen wollte, und er stellte die Flaschen ab. Die Wunde war nicht tief, blutete jedoch stark. Sie sah ihm unverwandt in die Augen, als sie seinen Finger in den Mund nahm und sanft das Blut ableckte. Seine Pupillen weiteten sich und bekamen diesen glasigen Schimmer, der ihr so vertraut war. Sie trat zurück und griff nach den Flaschen. Als sie wieder in den Festsaal ging, spürte sie seine Blicke im Rücken.
P atrik hatte die Kollegen zusammengetrommelt, damit sie gemeinsam alles besprechen konnten. Vor allem Mellberg musste auf den neuesten Stand gebracht werden. Er räusperte sich. »Du warst ja am Wochenende nicht da, Bertil, aber du hast vielleicht mitbekommen, was passiert ist.«
»Nein, was denn?« Bertil sah Patrik herausfordernd an.
»Am Samstag hat es im Ferienheim auf Valö gebrannt. Es deutet einiges darauf hin, dass das Feuer absichtlich gelegt wurde.«
»Brandstiftung?«
»Wir haben noch keine Bestätigung und müssen auf den Bericht von Torbjörn warten«, sagte Patrik. Nach kurzem Zögern fuhr er fort: »Es gibt jedoch ausreichend
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