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Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)

Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Läckberg
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ernst. Wo war der Besitz der Familie Elvander abgeblieben? Warum gingen Ebba und Mårten so seltsam miteinander um? Was war mit ihrem Sohn passiert? Und nicht zuletzt: Sagten sie die Wahrheit, wenn sie behaupteten, sie wüssten nicht, wer versucht hatte, sie mit dem Haus zu verbrennen? Auch wenn bei dem Gespräch mit Ebba nicht so viel herausgekommen war, wie sie gehofft hatte, wirbelten Erica viele Fragen durch den Kopf, als sie das Motorboot startete und nach Hause fuhr.
    Gösta brummte vor sich hin. Normalerweise nahm er sich Mellbergs Kritik nicht zu Herzen, aber es war völlig überflüssig gewesen, ihn anzumeckern, weil er die Ermittlungsakten mit nach Hause genommen hatte. Zählte denn nicht das Ergebnis? Alle Unterlagen aus der Zeit vor Einführung des Computers waren unheimlich schwer zu finden, und nun hatten sie viele Stunden gespart, weil sie nicht alle Ordner im Archiv durchsehen mussten.
    Er legte ein Blatt Papier und einen Stift bereit und schlug den ersten Hefter auf. Wie viel Lebenszeit hatte er schon damit verbracht, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was in dem Internat passiert war? Wie oft hatte er die Fotos, die Verhörprotokolle und die Tatortbeschreibungen studiert? Wenn sie die Sache diesmal vernünftig anpacken wollten, mussten sie methodisch vorgehen. Patrik hatte ihm den Auftrag erteilt, zu überlegen, in welcher Reihenfolge die Personen verhört werden sollten, die schon im Laufe der ursprünglichen Ermittlungen befragt worden waren. Da sie nicht die Möglichkeit hatten, mit allen gleichzeitig zu sprechen, mussten sie am richtigen Ende beginnen.
    Mit einem Seufzer machte sich Gösta daran, die ziemlich nichtssagenden Verhörprotokolle noch einmal durchzuackern. Da er sie bereits unzählige Male vor Augen gehabt hatte, wusste er, dass nichts Konkretes darin stand. Deswegen war es wichtig, auf die Nuancen zu achten und zwischen den Zeilen zu lesen. Er konnte sich jedoch nur schwer konzentrieren. Seine Gedanken wanderten dauernd zu der Kleinen, die so groß geworden war. Es war sonderbar gewesen, sie wiederzusehen und das Bild, das er sich in der Phantasie gemacht hatte, mit dem wirklichen Eindruck zu vergleichen.
    Unruhig rutschte er auf seinem Stuhl hin und her. Den Arbeitseifer hatte er schon vor Jahren verloren, und obwohl er eine gewisse Begeisterung für diese Aufgabe verspürte, schien sein Gehirn den Anweisungen nicht wirklich Folge leisten zu wollen. Er legte die Berichte zur Seite und sah sich stattdessen die Bilder an. Es waren auch die Fotos der Jungen dabei, die in den Ferien im Internat geblieben waren. Gösta schloss die Augen und dachte an diesen sonnigen, aber etwas kühlen Ostersonnabend 1974 zurück. Gemeinsam mit seinem inzwischen verstorbenen Kollegen Henry Ljung war er zu dem großen weißen Haus hinaufgewandert. Alles war sehr still gewesen, fast unheimlich, aber vielleicht kam ihm das erst im Nachhinein so vor. Trotzdem wusste er noch, dass es ihn auf diesem Pfad geschaudert hatte. Henry und er hatten sich angeblickt. Sie waren unsicher, was sie nach dem seltsamen Anruf erwarten würde. Der damalige Chef hatte zwei Leute losgeschickt, die sich die Sache ansehen sollten. »Bestimmt spielen uns die Jungs da draußen einen Streich«, hatte er gesagt. Er wollte sich vor allem für den Fall absichern, dass wider Erwarten etwas anderes als ein Scherz von ein paar gelangweilten Söhnen aus gutem Hause dahintersteckte. Zu Beginn des Schuljahrs hatte es ein paar Probleme gegeben, aber nach einem Anruf von Göstas Chef bei Rune Elvander war damit Schluss gewesen. Gösta wusste nicht, wie der Schulleiter das hingekriegt hatte, doch was immer ihm eingefallen war, hatte zumindest gewirkt. Bis jetzt.
    Vor der Haustür waren Henry und er stehen geblieben. Aus dem Haus war kein Ton zu hören. Dann durchbrach ein gellender Kinderschrei die Stille und riss sie aus ihrer vorübergehenden Lähmung. Sie klopften erneut an die Tür und traten ohne Umschweife ein. »Hallo«, hatte Gösta damals gerufen, und jetzt in der Dienststelle fragte er sich, wieso er sich nach so vielen Jahren noch an alle Einzelheiten erinnern konnte. Niemand hatte ihnen geantwortet, aber das Kind schrie immer lauter. Sie rannten in die Richtung, aus der das Schreien kam, im Esszimmer blieben sie stehen. Ein kleines Mädchen wackelte dort mutterseelenallein herum und weinte herzzerreißend. Instinktiv rannte Gösta auf sie zu und nahm sie hoch.
    »Wo ist der Rest der Familie?« Henry blickte sich um. »Hallo?«

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