Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
beide müssten uns mal treffen.« Er machte einen Schritt auf sie zu. »Bis jetzt hatten wir noch keine Gelegenheit, uns richtig kennenzulernen.«
Sie streckte ihm die Zunge raus. Oh, wie sie diese ekelhaften Männer ohne Erziehung und gute Familie hasste. Sie hatten kein Recht, sie mit ihren schmutzigen Fingern anzufassen. Sie hatte etwas Besseres verdient. Mutter und Vater hatten immer gesagt, ihr stehe ein gutes Leben zu.
»Und?«, bohrte sie weiter. »Hast du meine Frage nicht verstanden?«
Er spuckte auf den Boden, sah ihr in die Augen und sagte mit unverhohlener Schadenfreude: »Er ist abgereist.«
»Wie meinst du das? Wo wollte er denn hin?«
»Er hat am frühen Morgen telegraphisch einen Flugauftrag bekommen. Vor zwei Stunden ist er mit dem Schiff übergesetzt.«
Dagmar rang nach Luft. »Du lügst!« Am liebsten hätte sie Edvin mit der Faust ins grinsende Gesicht geschlagen.
»Du brauchst mir nicht zu glauben«, er drehte sich um, »aber weg ist er auf jeden Fall.«
Sie blickte übers Wasser, genau in die Richtung, in der Hermann verschwunden war, und schwor sich, ihn wiederzufinden. Egal, wie lange sie auf ihn warten musste, er würde ihr gehören. So sollte es sein.
E rica hatte leichte Gewissensbisse, obwohl sie Patrik eigentlich gar nicht angelogen, sondern nur die Wahrheit weggelassen hatte. Außerdem hatte sie gestern Abend versucht, ihm von ihren Plänen zu erzählen, aber es hatte sich keine geeignete Gelegenheit ergeben, und er war in einer so seltsamen Stimmung gewesen. Sie hatte ihn gefragt, ob bei der Arbeit etwas passiert sei, doch er hatte ausweichend geantwortet, und dann hatten sie den restlichen Abend schweigend vor dem Fernseher verbracht. Wie sie ihm die Bootsfahrt heute erklären sollte, würde sie sich später überlegen.
Erica gab Gas und ließ das Boot ein bisschen vom Wind abfallen. Dankbar dachte sie an ihren Vater Tore, der darauf bestanden hatte, dass seine Tochter lernte, mit einem Motorboot umzugehen. Wer an der Küste wohnte, musste das seiner Ansicht nach können. Insgeheim wusste sie, dass sie viel besser anlegen konnte als Patrik, überließ ihm dieses Manöver aber um des lieben Friedens willen. Männliche Egos waren so verletzlich.
Sie winkte einem Schiff von der Küstenwache zu, das Kurs auf Fjällbacka genommen hatte. Es schien von der Insel Valö zu kommen. Erica fragte sich, was es dort gewollt hatte, dachte jedoch nach einer gewissen Zeit nicht mehr daran und konzentrierte sich auf das Anlegen. Elegant glitt das Boot an den Steg. Zu ihrem eigenen Erstaunen war sie nervös. Nachdem sie sich so intensiv mit der Geschichte beschäftigt hatte, war es ein merkwürdiges Gefühl, einer der Hauptpersonen im wirklichen Leben zu begegnen. Sie schnappte sich ihre Handtasche und sprang an Land.
Sie war schon lange nicht mehr auf Valö gewesen und verband die Insel wie viele andere Ortsansässige mit Ferienheim und Schulausflügen. Fast hatte sie noch den Geruch von Bratwürstchen und verkohltem Stockbrot in der Nase, als sie durch das Wäldchen ging.
In der Nähe des Hauses blieb sie verblüfft stehen. Es herrschte fieberhafte Aktivität, und auf der Treppe stand eine vertraute Gestalt, die mit den Armen ruderte. Erica setzte sich wieder in Bewegung und fiel fast in Laufschritt.
»Hallo, Torbjörn!« Schließlich gelang es ihr, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Was macht ihr denn hier?«
Er sah sie verwundert an. »Erica? Die Frage könnte ich genauso gut dir stellen. Weiß Patrik, dass du hier bist?«
»Nein, eher nicht, aber jetzt erzähl doch mal, was ihr hier treibt.«
Torbjörn schien zu überlegen, was er sagen sollte.
»Die Besitzer haben beim Renovieren des Hauses etwas entdeckt«, sagte er schließlich.
»Was denn? Haben sie die verschwundene Familie gefunden? Wo sind die Leute?«
Torbjörn schüttelte den Kopf. »Mehr kann ich dir leider nicht sagen.«
»Darf ich reinkommen und es mir ansehen?« Sie machte einen Schritt auf die Treppe zu.
»Nein, hier hat niemand Zutritt. Es geht nicht, dass hier lauter Familienangehörige rumrennen, während wir arbeiten.« Er lächelte. »Ich nehme an, du suchst die Leute, die hier wohnen. Sie sind hinterm Haus.«
Erica wich ein Stück zurück. »Okay«, sagte sie, konnte ihre Enttäuschung aber nur schlecht verbergen.
Sie ging um das Haus herum. Als sie um die Ecke bog, sah sie einen Mann und eine Frau, die ungefähr in ihrem Alter waren. Missmutig saßen die beiden da und starrten das Haus an, ohne
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