Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
mit Kleidung bei mir hatte, als ich zu ihnen kam. Nicht einmal die Klamotten stammten von hier, glaube ich. Meine Mutter erzählt, dass irgendein netter Mensch mir ein paar Kleidchen genäht und sogar meine Initialen hineingestickt hatte. Ich habe die Sachen immer noch. Meine Mutter hat sie aufbewahrt, falls ich eines Tages selbst eine Tochter habe.«
»Keine Briefe, keine Fotos?«, fragte Erica.
»Nein. Etwas Derartiges habe ich nie zu Gesicht bekommen.«
»Hatten Ihre Eltern noch andere Verwandte, die diese Dinge vielleicht an sich genommen haben?«
»Es gab niemanden mehr. Das habe ich Ihrem Mann auch schon gesagt. Wenn ich richtig informiert bin, waren meine Großeltern mütterlicher- und väterlicherseits bereits verstorben, und Geschwister hatten meine Eltern offenbar nicht. Falls es noch entfernte Verwandte geben sollte, haben die sich jedenfalls noch nie gemeldet. Es wollte mich schließlich auch keiner haben.«
Das klang unfassbar traurig. Erica sah sie mitleidig an, aber Ebba lächelte.
»Ich kann mich nicht beklagen. Meine Mutter und mein Vater lieben mich, und ich habe zwei tolle Geschwister. Es hat mir an nichts gemangelt.«
Erica lächelte zurück. »Das können nicht viele sagen.«
Die schmale Frau wurde ihr immer sympathischer.
»Wissen Sie noch etwas über Ihre biologischen Eltern?«
»Nein. Wahrscheinlich wollte ich gar nichts über sie erfahren. Natürlich habe ich mich ab und zu gefragt, was damals passiert ist, aber in gewisser Weise hatte ich das Gefühl, dass diese Dinge keinen Platz in meinem Leben hatten. Vielleicht habe ich befürchtet, dass es Mama und Papa traurig machen würde, dass sie denken könnten, sie reichten mir nicht, wenn ich mich plötzlich für meine biologischen Eltern interessierte.«
»Glauben Sie, dass Sie sich mehr für Ihre Herkunft interessieren würden, wenn Sie Kinder hätten?«, fragte Erica vorsichtig. Sie wusste nicht viel über Ebba und Mårten, vielleicht war es ein heikles Thema.
»Wir hatten einen Sohn«, sagte Ebba.
Erica schreckte zurück, als hätte sie eine Ohrfeige bekommen. Mit dieser Antwort hatte sie nicht gerechnet. Sie hätte gern nachgefragt, aber Ebbas Körperhaltung signalisierte deutlich, dass sie nicht darüber sprechen wollte.
»Man könnte sagen, dass Ebba sich durch den Umzug nach hier auf ihre Weise mit ihrer Herkunft beschäftigt«, sagte Mårten.
Er rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. Erica beobachtete, dass sich das Paar allem Anschein nach unbewusst ein Stück voneinander entfernte, als könnten beide allzu große Nähe zum anderen nicht ertragen. Die Stimmung war plötzlich gedrückt, und Erica kam sich wie ein aufdringlicher Zeuge von etwas sehr Privatem vor.
»Ich habe ein paar Recherchen über Ihre Familie angestellt und dabei einiges herausgefunden. Wenn Sie wissen möchten, was ich entdeckt habe, brauchen Sie es nur zu sagen. Ich habe alles zu Hause.«
»Das ist nett von Ihnen«, antwortete Ebba ohne Begeisterung. Ihre ganze Energie schien sie verlassen zu haben. Erica sah ihr an, dass es keinen Sinn hatte, das Gespräch fortzusetzen. Sie stand auf.
»Vielen Dank, dass Sie sich ein Weilchen mit mir unterhalten haben. Ich melde mich, aber Sie können mich auch gern anrufen.« Sie schrieb ihre Telefonnummer und die E-Mail-Adresse auf einen Notizblock, riss das Blatt ab und reichte es den beiden. Dann schaltete sie das Aufnahmegerät ab und steckte es in die Handtasche.
»Sie wissen ja, wo Sie uns finden. Wir tun nichts anderes, als rund um die Uhr am Haus zu arbeiten«, sagte Mårten.
»Das kann ich verstehen. Schaffen Sie es denn allein?«
»Es sieht so aus. Mal sehen, wie weit wir kommen.«
»Wenn Sie in der Gegend jemanden wissen, der sich mit Einrichtung auskennt, sind wir dankbar für einen Tipp«, fügte Ebba hinzu. »Auf diesem Gebiet haben wir beide kein besonderes Talent.«
Erica wollte gerade sagen, sie habe leider keine Ahnung, als ihr auf einmal eine Idee kam.
»Ich weiß jemanden, der Sie sicherlich ausgezeichnet beraten kann. Ich gebe Ihnen in Kürze Bescheid.«
Sie verabschiedete sich noch einmal und ging vors Haus. Torbjörn erteilte gerade zwei Leuten aus seinem Team Anweisungen.
»Wie läuft es bei euch?«, rief Erica laut, um die Motorsäge zu übertönen.
»Das geht dich gar nichts an«, erwiderte Torbjörn, »aber ich rufe nachher deinen Mann an und erstatte ihm Bericht. Du kannst ihn also heute Abend ausfragen.«
Erica winkte lachend. Auf dem Weg zum Anlegesteg wurde sie
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