Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
Personen.
Paula erschrak, als sie eine der beiden erkannte. »Anna! Was machst du denn hier?«
»Ich war hier, um etwas für einen Einrichtungsauftrag auszumessen.« Sie war etwas blass, wirkte aber gefasst.
»Ist jemand verletzt?«
»Gott sei Dank nicht«, antwortete Anna. Die beiden anderen nickten.
»War seit Ihrem Anruf alles ruhig?« Paula sah sich um. Obwohl sie überzeugt war, dass sich der Schütze längst aus dem Staub gemacht hatte, wäre es riskant gewesen, davon auszugehen. Angespannt horchte sie auf das geringste Geräusch.
»Ja, seitdem war alles ruhig. Wollen Sie sehen, wo das Geschoss eingedrungen ist?« Anna schien das Kommando übernommen zu haben, während sich Mårten und Ebba abwartend hinter ihr hielten. Mårten hatte den Arm um Ebba gelegt, die mit verschränkten Armen ins Leere starrte.
»Selbstverständlich«, sagte Mellberg.
»In der Küche.« Anna ging voran. In der Tür blieb sie stehen und zeigte auf das Fenster. »Wie Sie sehen, kam der Schuss durch diese Scheibe.«
Paula betrachtete das Chaos. Der ganze Boden war mit Glassplittern bedeckt, aber die meisten lagen vor dem zerbrochenen Fenster.
»War jemand hier drin, als geschossen wurde? Sind Sie sich eigentlich sicher, dass es mehrere Schüsse waren und nicht nur einer?«
»Ebba war hier.« Anna versetzte Ebba einen sanften Knuff. Langsam hob die den Blick und sah sich um, als nähme sie den Raum zum ersten Mal wahr.
»Es hat einfach geknallt«, sagte sie. »Das Geräusch war so laut. Ich habe gar nicht begriffen, was es war. Dann hörte ich noch einen Knall.«
»Zwei Schüsse also.« Mellberg betrat die Küche.
»Wir sollten lieber nicht hier rumlaufen, Bertil«, sagte Paula. Sie wünschte, Patrik wäre da. Es war nicht sicher, ob sie ohne ihn in der Lage war, Mellberg zu bremsen.
»Keine Sorge. Ich habe schon mehr Tatorte gesehen, als du in deiner gesamten Laufbahn zu Gesicht bekommen wirst, und ich weiß genau, was man dort darf und was nicht.« Er trat auf ein großes Stück Glas, das unter seinem Gewicht zersplitterte.
Paula holte tief Luft. »Ich finde trotzdem, dass Torbjörn und sein Team lieber einen unberührten Tatort vorfinden sollten.«
Mellberg nahm keine Notiz von ihr, sondern ging weiter zu den Einschusslöchern an der hinteren Küchenwand.
»Aha! Da haben wir die beiden Racker. Wo haben Sie Ihre Plastiktüten?«
»In der dritten Schublade von oben«, antwortete Ebba abwesend.
Mellberg öffnete die Schublade und nahm eine Rolle Gefrierbeutel heraus. Er riss einen ab und streifte sich ein Paar Putzhandschuhe über, die am Wasserhahn hingen. Dann stellte er sich wieder vor die Wand.
»Dann werden wir mal. Man kann sie problemlos entfernen, weil sie nicht besonders tief drinstecken. Für Torbjörn gibt es hier nachher nicht mehr viel zu tun.« Er pulte die beiden Kugeln aus der Wand.
»Das muss doch alles erst fotografiert werden …«, wandte Paula ein.
Mellberg hörte offenbar keinen Ton von dem, was sie sagte. Stattdessen hielt er selbstzufrieden den Beutel in die Höhe und steckte ihn sich dann in die Hosentasche. Mit einem Knall zog er sich die Handschuhe aus und warf sie ins Spülbecken.
»Man darf die Sache mit den Fingerabdrücken nicht vergessen.« Er runzelte die Stirn. »Die sind von äußerster Wichtigkeit für die Beweisführung. Nach so vielen Berufsjahren ist mir das in Fleisch und Blut übergegangen.«
Paula biss sich so fest auf die Unterlippe, dass sie Blut schmeckte. Beeil dich, Hedström, wiederholte sie unaufhörlich im Geiste. Doch niemand erhörte sie, und so trampelte Mellberg weiterhin unbekümmert auf den Glassplittern herum.
Fjällbacka 1931
S ie spürte die Blicke im Nacken. Die Leute hielten Dagmar für dumm, aber sie ließ sich nicht hinters Licht führen, am allerwenigsten von Laura. Die Tochter war eine gute Schauspielerin und machte sich überall beliebt. Alle bedauerten sie, weil sie sich allein um den Haushalt kümmerte und eine Mutter wie Dagmar hatte. Niemand merkte, wie Laura wirklich war, aber Dagmar durchschaute ihre Scheinheiligkeit. Sie wusste, was sich hinter ihrem adretten Äußeren verbarg. Auf Laura lag der gleiche Fluch wie auf ihr. Sie war gebrandmarkt, auch wenn sich das Zeichen bei ihr unter der Haut befand und von außen nicht sichtbar war. Sie hatten ein gemeinsames Schicksal, Laura sollte sich bloß nichts anderes einbilden.
Leicht zitternd saß Dagmar auf dem Küchenstuhl. Zu ihrem morgendlichen Schlückchen hatte sie eine Scheibe trockenes
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