Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
außer ihrem Glauben und der Hoffnung auf ein besseres Leben. Während sie litten, war Albert Speer laut polternd hier herumgelaufen, hatte mit den Armen gefuchtelt und die Steine bestellt, mit denen die stolzeste Stadt in dem Reich errichtet werden sollte, für das so viel Blut vergossen worden war. Eigentlich wusste Josef gar nicht, ob Speer persönlich hier gewesen war, aber mit Sicherheit war einer seiner Handlanger im Steinbruch bei Fjällbacka herumspaziert.
Für ihn war der Krieg kein Ereignis aus einer weit zurückliegenden Vergangenheit. In seiner Kindheit war ihm ständig von Juden, die verfolgt und verraten wurden, vom Geruch des Rauchs, der aus den Schornsteinen in den Lagern drang, und dem Grauen erzählt worden, das sich in den Gesichtern der Befreier spiegelte. Immer wieder hatte er gehört, dass Schweden die Opfer mit offenen Armen aufgenommen, sich aber hartnäckig geweigert hatte, seine eigene Rolle im Krieg zuzugeben. Sein Vater hatte jeden Tag darüber gesprochen, dass sein neues Land sich endlich zu den eigenen Untaten bekennen sollte. Es hatte sich ihm so eingebrannt wie die Nummern an den Armen seiner Eltern.
Mit zum Gebet gefalteten Händen richtete er den Blick zum Himmel. Er bat um die Kraft, sein Erbe gut zu verwalten, Sebastian entgegenzutreten und sich der Vergangenheit zu stellen, die nun sein Vorhaben zunichtezumachen drohte. Die Jahre waren so schnell vergangen, und er hatte gelernt zu vergessen. Ein Mann konnte seine Geschichte selbst erschaffen. Er selbst hätte diesen Teil seines Lebens am liebsten ausgelöscht und wünschte, Sebastian hätte das Gleiche getan.
Josef stand auf und klopfte sich den Staub von der Hose. Er hoffte, dass Gott an diesem Ort, der für das stand, was möglich gewesen wäre, und für das, was nun entstehen sollte, seine Gebete erhörte. Aus diesen Steinen würde Josef Wissen erschaffen, und aus Wissen entstanden Verständnis und Frieden. Er würde für das Unrecht bezahlen, das seinen Vorfahren und allen gepeinigten und unterdrückten Juden widerfahren war. Nach Vollendung seines Werks brauchte er sich nicht mehr zu schämen.
Das Handy klingelte, aber Erica drückte den Anruf weg. Es war der Verlag, und worum auch immer es ging, sie hatte jetzt keine Zeit dafür.
Sie sah sich ungefähr zum hundertsten Mal in ihrem Arbeitszimmer um. Das Gefühl, dass jemand hier gewesen war und in Dingen herumgeschnüffelt hatte, die sie als sehr privat betrachtete, war ihr zuwider. Wer konnte es gewesen sein, und wonach konnte er oder sie gesucht haben? Sie war so tief in Gedanken versunken, dass sie vor Schreck zusammenzuckte, als sie im Erdgeschoss die Haustür auf- und wieder zugehen hörte.
Hastig ging sie die Treppe hinunter. Im Flur standen Patrik und Gösta.
»Hallo. Was macht ihr denn hier?«
Göstas Lider flatterten. Er wirkte mehr als nervös. Ihre heimliche Abmachung schien ihn nicht gleichgültig zu lassen, und sie quälte ihn gern ein bisschen.
»Lange nicht gesehen, Gösta. Wie geht es dir?« Mühsam verkniff sich Erica ein Grinsen, als sie sah, dass Gösta puterrot anlief.
»Hm … Danke, gut«, murmelte er und starrte auf seine Füße.
»Alles in Ordnung hier?«, fragte Patrik.
Schlagartig wurde Erica wieder ernst. Für einen Augenblick hatte sie vergessen, dass jemand in ihrem Haus gewesen war. Natürlich musste sie Patrik von ihrem Verdacht erzählen, aber noch hatte sie keinen Beweis, und in gewisser Hinsicht war es ein Glück, dass er vorhin nicht ans Telefon gegangen war. Sie wusste, wie sehr er sich sorgte, wenn etwas passierte, was seine Familie betraf. Es ließ sich nicht ausschließen, dass er sie und die Kinder woanders hinschickte, wenn er glaubte, dass jemand hier eingebrochen war. Sie beschloss, lieber noch zu warten, aber gegen ihre eigene Unruhe kam sie nicht an. Ständig blickte sie zur Verandatür, als könnte dort jeden Augenblick jemand eindringen.
Sie wollte gerade antworten, als Kristina mit den Kindern im Schlepptau aus der Waschküche auftauchte.
»Du bist zu Hause, Patrik? Du kannst dir nicht vorstellen, was vorhin passiert ist! Beinahe hätte ich einen Herzinfarkt bekommen. Ich stand in der Küche und machte den Kindern Pfannkuchen, als ich plötzlich sah, wie Noel mit einem Affenzahn auf die Straße zu rannte. Zum Glück konnte ich mir den kleinen Kerl in allerletzter Sekunde schnappen. Wer weiß, vielleicht wäre sonst ein Unglück geschehen. Ihr müsst wirklich daran denken, die Türen fest zu schließen, denn die
Weitere Kostenlose Bücher