Die Engelsmuehle
arbeiten zwei Praktikantinnen daran, sämtliche Protokolle der Klinik auf Mikrofiches umzustellen. Die wühlen sich seit Bestehen der Klinik chronologisch nach vorne. Im Moment sind sie beim Jahr 1988 angelangt. In den Containern liegen die Protokolle von 1987, die bereits eingescannt wurden. Die werden nächste Woche abgeholt und zur Papierpresse transportiert.«
Hogart dachte an Linda Bohmanns Unfall aus dem Jahr 1988. »Hat die Kripo bereits herausgefunden, ob etwas gestohlen wurde?«
Sie zuckte die Achseln. »Das lässt sich nicht so einfach beantworten. Im Archiv wurde zwar nicht eingebrochen, aber Doktor Dornauers Schlüssel steckte im Schloss. Entsprechend der fortlaufenden Aktenzahl fehlt ein Überstellungsprotokoll aus dem Jahr 1988. Doch wissen wir noch nicht, um welches Dokument es sich handelt. Um das herauszufinden, müssen die Kripobeamten die verbliebenen Originale mit den Mikrofiches vergleichen. Die sind leider völlig durcheinandergeraten … die Studentinnen haben Mist gebaut. Die Suche kann ein paar Tage dauern.«
Hogart ahnte bereits, um wessen Protokoll es sich dabei handelte. »Und wenn das fehlende Dokument noch nicht eingescannt wurde?«
»Dann war die Suche vergeblich.«
Hogart beneidete die Beamten nicht um ihre Arbeit. »Darf ich Sie etwas Privates fragen?«
»Nur zu.«
»Kennen Sie eine Patientin namens Linda Bohmann? Querschnittgelähmt, um die vierzig, brünettes langes Haar.« Sie dachte nach. »Nein.«
»Lässt sich herausfinden, ob und wann sie hier war?«
»Ja, im Archiv, fragen Sie die Beamten.«
»Sie sitzt seit etwa zwanzig Jahren im Rollstuhl. Bei wem könnte Sie in Behandlung gewesen sein?«
»Du meine Güte.« Sie sah ihn fragend an. »In der Klinik sind zurzeit drei Physiotherapeuten beschäftigt, aber keiner davon ist länger als ein Jahr hier. Die meisten sind jung, lernen hier und suchen sich dann einen anderen Job. Die Therapeuten sind ein Wandervolk … und sehen Sie sich um, hier wurde nie etwas investiert. Da bleibt sowieso niemand lange.«
Hogart erhob sich. »Danke.«
»Eine Sache noch.« Sie rang die Hände. Offensichtlich überlegte sie, wie sie es formulieren sollte. »Ich habe Sie durchschaut. Sie arbeiten für keine Versicherung.«
Hogart wollte etwas sagen, doch sie schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. »Bemühen Sie sich nicht. Sie hätten ihren Gesichtsausdruck sehen sollen, als der Inspektor in der Tür stand. Ich weiß, was Sie von mir wollen.« Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. »Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, mir geht es nicht ums Geld der Lebensversicherung, das brauche ich nicht. Mir geht es nur darum, dass seine Familie nichts von dieser Beziehung erfährt.«
Sie erhob sich und ging um den Tisch herum. Bei jedem Schritt knickten die Hüfte und das künstliche Bein mit einer Schnappbewegung ein. »Ich bin in meinem Leben schon so oft gedemütigt worden. Harald Dornauer war der erste Mann, der mir das Gefühl gab, eine vollwertige Frau zu sein. Es wäre mir peinlich für ihn, würde seine Frau erfahren, dass er eine Beziehung mit einer …« Sie verstummte für einen Augenblick. »Falls Sie ihr von dieser Beziehung erzählen, käme es zu einer hässlichen Schlammschlacht.«
»Sie denken, Doktor Dornauers Ehefrau hat mich als Privatdetektiv engagiert?«
»Ist es nicht so?« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
»Ich bin aus einem anderen Grund hier, der nichts mit Ihnen zu tun hat. Aber ich kann Sie beruhigen. Falls Doktor Dornauer Sie tatsächlich als Begünstigte für seine Lebensversicherung einsetzen ließ, erfahren das nur die Versicherung, die Kriminalpolizei und im Zuge der Nachlassregelung der Notar und das Finanzamt.«
Ihre Unterlippe bebte wieder.
»Machen Sie sich keine Sorgen. Seine Ehefrau wird nichts davon erfahren.«
Als Hogart das Gebäude verließ, begegnete er keinem der Ermittler oder Spurensicherer. Er hörte bloß das Aufziehen der Schubladen und das Klappern der Aktenschränke aus den Räumen. Rasch stieg er die Außentreppe runter. Draußen angelangt, ging er zu den Papiercontainern und schob einen davon auf.
Dutzende Blätter segelten ihm entgegen. Terminpläne, Therapieprotokolle, Arztegutachten. Er kniete sich nieder und blätterte so lange durch die Papiere, bis er ein Überstellungsprotokoll fand. Wie Carmen Scholl gesagt hatte, war darauf nichts Spektakuläres zu sehen - bloß der Name des Patienten, des behandelnden Arztes und des Mediziners, der die Überweisung
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