Die Engelsmuehle
verschwinden.
»Sind Sie auf den Zehenspitzen durch die Räume geschlichen?«, fragte er.
»Ja.« Unverhohlener Zorn klang in ihrer Stimme. »Ich fasse es nicht, dass ich Sie hier treffe. Was treiben Sie eigentlich in der Dunkelheit im Archiv?«
»Das Gleiche könnte ich Sie fragen.«
»Der Portier hat meine Visitenkarte. Er sollte mich anrufen, sobald sich jemand unbefugt Zutritt zum Keller verschafft.«
»Hat er die Polizei verständigt?«
»Nein«, zischte sie.
»Sie wollten doch nicht etwa auf eigene Faust Recherchen anstellen?«
»Was bleibt mir denn anderes übrig? Sie rufen ja nicht zurück. Und am Ende bleibt alles an mir hängen«, fauchte sie ihn an.
Er konnte sie gut verstehen. Er hatte sich in den letzten beiden Tagen nicht gerade kooperativ verhalten, und das, obwohl er den Fall übernommen hatte und der Versicherung bis spätestens Donnerstag die ersten konkreten Ergebnisse vorlegen sollte. Aber die Ereignisse hatten sich anders entwickelt als erwartet.
»Was tun Sie hier?«, wollte sie erneut wissen.
»Ich sehe mir das Archiv an.«
»Um diese Zeit?«
»Um ehrlich zu sein, war ich zuvor mit etwas anderem beschäftigt.« Er konnte gut verstehen, dass sie ihm jetzt am liebsten den Kopf abreißen würde. Doch statt ein Gezeter vom Stapel zu lassen, seufzte sie nur tief. »Oh Gott, wir werden das bis Donnerstagabend nie hinbekommen. Was ist eigentlich mit Ihrem Gesicht passiert?«
»Das erzähle ich Ihnen später.« Mit einem Mal tat sie ihm leid. »Kommen Sie mit, ich möchte Ihnen etwas zeigen …«
Eine halbe Stunde später saßen sie Seite an Seite auf der Zeitung, die Hogart auf dem Boden ausgebreitet hatte. Domenik trug sein Sakko über ihren Schultern. Beide lehnten mit dem Rücken am Server und starrten in der Dunkelheit zu dem Oberlicht, unter dem Hogart die Kunststoffreste entdeckt hatte.
»Was halten Sie von dieser Theorie?«, fragte er, nachdem er ihr alles erzählt hatte.
Sie sagte lange Zeit nichts. Er hörte nur ihren Atem in der Finsternis und roch ihr Parfüm. Hin und wieder spürte er den leichten Druck ihrer Schulter an seiner.
»Haben Sie eine Zigarette?«, fragte sie.
»Klar, rauchen Sie Stuyvesant?« Hogart kramte seine Packung hervor.
»Der große Duft der weiten Welt: Peter Stuyvesant.« Sie lachte. »Gott, wer raucht heutzutage noch Stuyvesant?«
Hogart hielt in der Bewegung inne. »Wollen Sie nun eine oder nicht?«
»Ja, geben Sie schon her.«
Er gab ihr Feuer, und sie beugte sich nach vorne. Sie hatte sich die Haare hinters Ohr gestrichen. Im Licht des Feuerzeugs sah er ihr Profil. Sie war eine verdammt hübsche Frau, mit großen mandelbraunen Augen, Sommersprossen und einer leicht nach oben gewölbten Stupsnase.
Hogart steckte sich auch eine Zigarette an. Im Moment war er weiter denn je davon entfernt, sich das Rauchen abzugewöhnen. Und wer würde in so einer Gesellschaft Nein sagen?
»Was halten Sie nun von meiner Theorie?«, fragte er.
»Jemand ermordet drei Ärzte, bricht in Archive ein, um Informationen verschwinden zu lassen, und legt anschließend in der Gebietskrankenkasse einen Brand, um auch hier die letzten Beweise zu vernichten?«
»Genau.«
»Und weshalb stiehlt Ihr Mörder nicht einfach die Unterlagen aus dem Archiv, genauso wie im Kaiserin-Elisabeth-Spital oder in Dornauers Klinik?«
»Sehen Sie sich um«, antwortete Hogart. »Hunderttausende Büroordner und Tausende Festplatten mit Back-ups. Ein Laie wüsste nicht einmal, wo er zu suchen beginnen sollte.«
»Verstehe - Ihr Mörder geht auf Nummer sicher.«
»Und ob er das tut!« Hogart zog an seiner Zigarette. Im Moment kam ihm seine eigene Theorie ziemlich dämlich vor. »Und was halten Sie nun davon?«
»Das sage ich Ihnen morgen Abend, nachdem ich Ihre Proben ins chemische Labor gebracht habe.«
»Sie?«
»Logisch. Schließlich möchte ich, dass der Fall noch in diesem Jahrhundert abgeschlossen wird … und wer weiß, vielleicht werden Sie ja wieder überfallen und niedergeschlagen oder landen im Knast.«
Hogart sah sie im schwachen Licht der Glut schmunzeln.
Nach einer Weile trat sie die Zigarette auf dem Boden aus. »Finden Sie raus, was der Schlüssel öffnet, und bringen Sie den Mörder zur Strecke. Falls Sie recht behalten, haben wir damit automatisch unseren Brandstifter.«
»Und Sie?«
»Ich komme mit einem befreundeten Chemiker her. Albert ist der beste seines Jahrgangs. Wir werden die Stelle unter dem Fenster unter die Lupe nehmen - und zwar etwas genauer als
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