Die Engelsmuehle
aufgetischt hatte, oder ob es für Linda besser war, mit Hogart zu reden. Schließlich gab er Hogart die Karte zurück. »Professor Bohmann kommt frühestens in einer Stunde zu ihrer ersten Vorlesung. Bis dahin können wir uns in meinem Büro unterhalten.«
Hogart folgte ihm.
Priolas Büro lag ebenso wie Linda Bohmanns Büro im ersten Stock, mit Blick auf den Parkplatz und den Springbrunnen. Beide Räume waren etwa gleich groß, nur dass Priolas Arbeitszimmer über und über mit Papieren und Aktenordnern übersät war. Als Hogart eintrat und sich im Raum umblickte, schien es Priola nicht einmal peinlich zu sein, als sei es völlig normal, unter solchen Umständen zu arbeiten.
Während Hogart auf der Couch einige Briefe und Anmeldeformulare beiseiteschob, um Platz zu nehmen, hing Priola Hut und Mantel an den Kleiderständer und legte die Aktentasche auf den Schreibtisch. Er kippte das Fenster, da es im Büro nach abgestandenem Zigarrenrauch stank, dann schaltete er die Espressomaschine in der Nische ein. Anschließend tranken sie Kaffee auf der Couch.
»Ist das Mädchen, mit dem Sie hier waren, tatsächlich Ihre Tochter?«, wollte Priola wissen.
»Meine Nichte - sie ist übrigens wirklich an Kunst interessiert, spielt aber in einer Rockband.«
Priola schmunzelte. »Und wie sind Sie Versicherungsdetektiv geworden?«
Hogart hasste es, ausgefragt zu werden, zumal eigentlich er etwas von Priola wissen wollte. Doch im Moment war es besser, die Karten offen auf den Tisch zu legen - was ihm diesmal nicht schwerfiel, da ihm Priolas sanfte Stimme einmal mehr an die seines Vaters erinnerte.
Hogart erzählte, dass er an alten Filmen interessiert sei und eigentlich mit einundzwanzig Jahren an der Filmhochschule studieren wollte. Da seine Eltern wenig Geld besaßen, sein Bruder aber Medizin studieren wollte, musste er einen Beruf ergreifen. Durch die Beziehung seines Vaters zu Kommerzialrat Rast von Medeen & Lloyd verdiente er sein erstes Geld als Sachbearbeiter mit einfachen Policen. Später arbeitete er als Vertreter, danach als Versicherungsdetektiv im Einsatz gegen getürkte Schadensmeldungen und schließlich als selbstständiger Ermittler, der sich auf Einbruch und Diebstahl spezialisiert hatte.
Während Hogart erzählte, rauchte Priola eine Zigarre und nippte nur ab und zu an seiner Tasse. Ihr Gespräch wurde durch nichts unterbrochen. Bloß die rote Lampe des Anrufbeantworters blinkte im Hintergrund auf Priolas Schreibtisch.
»Danke, dass Sie so ehrlich waren«, sagte Priola schließlich, nachdem Hogart geendet hatte. »Weshalb glauben Sie nun, dass Professor Bohmann etwas über die Morde weiß, aber verheimlicht?«
»Ich …« Das Läuten des Telefons unterbrach Hogart.
Bevor sich das Band des Anrufbeantworters einschaltete, erhob sich Priola und nahm das Gespräch entgegen. Er lauschte eine Weile, ohne ein Wort zu sagen. Schließlich blickte er auf die Armbanduhr. »Ich schätze, gegen zehn Uhr.« Dann legte er auf.
Er sah Hogart mit einem blassen Gesichtsausdruck an. »Die Kripobeamten haben sich nach Linda Bohmann erkundigt. Sie kommen in einer halben Stunde her.«
Hogart versuchte, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Aus welchem Grund zeigten Garek und Eichinger plötzlich wieder Interesse an Linda Bohmann?
Gedankenverloren starrte Priola in die Zigarrenglut, während er sich wieder auf die Couch setzte. Offensichtlich hatte er seine Frage von vorhin vergessen.
»Es wird Zeit, dass Sie mir mehr über Linda erzählen«, bat Hogart.
Priola sah kurz auf. »Ich sagte Ihnen bereits bei Ihrem letzten Besuch, dass sie sich seit dem Unfall ihrer Eltern sehr verändert hat. Der Tod ihres Vaters hat sie gebrochen. Sie ist nicht mehr so lebenslustig wie früher. Obwohl sich die beiden nicht ausstehen können, wird sie ihrer Schwester von Jahr zu Jahr ähnlicher. Ihre Mutter, Agathe Bohmann, die Grand Dame der Verlagsszene, war genauso hart und verbittert. Seinen Genen kann man wohl nicht entfliehen.«
Priola erzählte, dass sich der Autounfall von Ernest und Agathe Bohmann in der Silvesternacht von 2004 auf 2005 zugetragen hatte. Soviel er von Linda erfahren hatte, feierte die Familie in der Engelsmühle, dem Elternhaus, den vierzigsten Geburtstag ihrer Töchter. An jenem 31. Dezember herrschte eine eiskalte Nacht. Die Waldwege waren zugefroren, und eine dichte Schneedecke hing auf den Föhren, die die Mühle umgaben. Im offenen Kamin der Mühle knackte das Brennholz und es floss jede Menge
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