Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Engelsmuehle

Die Engelsmuehle

Titel: Die Engelsmuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
Vom Netzwerk:
und U6 verbinden die beiden Orte.«
    Hogart fuhr mit dem Finger den Weg der U-Bahnlinie entlang. Über der Markierung des Westbahnhofs hielt er inne. »Hier musste er umsteigen.«
    »Der Westbahnhof… «, flüsterte Tatjana.
    Die Tür zur Praxis wurde aufgerissen. Gomez trat mit zwei Kollegen von der Polizei ein. Der kleine Beamte mit der platten Nase und dem schwarzen Kinnbart klatschte in die Hände. »Alle Mann raus hier! Wir haben einen Durchsuchungsbefehl.«
    Wie feinfühlig. »Das wissen wir, mach nicht so einen Lärm«, murrte Hogart.
    Gomez baute sich vor den beiden auf. »Raus hier! Aber der Stadtplan bleibt hier.«
     
    »Es ist besser, du bleibst bei deiner Mutter«, sagte Hogart, als sie auf der Straße vor dem Eckhaus standen.
    »Oma kommt jeden Moment, die wird sich um Mama kümmern …« Tatjana sah zu Boden. »Außerdem hatten wir gestern Abend noch einen heftigen Streit.«
    Hogart sperrte seinen Wagen auf. »Weswegen?«
    »Wir haben beide keine Ahnung, was Papa an den Abenden treibt, wenn er weggeht. Ich weiß nur, dass er nicht in seiner Praxis arbeitet und auch nicht mit dir unterwegs ist.«
    Willkommen im Club! Ähnliche Gedanken gingen vermutlich auch Victoria Bergers Mann durch den Kopf. Hogart bekam ein flaues Gefühl im Magen.
    »Mama glaubt, dass Papa ein Verhältnis mit einer anderen hat. An den Abenden, an denen wir allein zu Hause sind, ist sie unausstehlich. Und wenn Papa daheim ist, streiten sie fast immer. Im Moment geht unser ganzes Leben den Bach hinunter.«
    Hogart sah die Straße zur nächsten Kreuzung hinauf. Von Weitem sah er seine Mutter über den Zebrastreifen stolzieren - wie üblich mit knöchellangem Rock, schwarzer Stola und breitkrempigem Hut, der sie wie eine trauernde Witwe aussehen ließ. Was für eine erbärmliche Heuchlerin.
    »Mutter ist im Anmarsch«, stellte er trocken fest. Es wurde Zeit, von hier zu verschwinden. Er wollte sich keine neuerlichen Tiraden darüber anhören, dass sogar die Geschichte mit dem Blasrohr auf sein Konto ging.
    »Steig ein«, sagte er zu Tatjana. »Wir fahren zum Westbahnhof.«

20
     
    Eine der Rolltreppen reichte tiefer in den Bauch des Westbahnhofs als alle anderen. Sie führte in einen entlegenen Trakt, wo die Deckenbeleuchtung nur noch sporadisch flackerte und die Reklamationsstelle für verloren gegangene Gepäckstücke lag. Dort befanden sich auch die Langzeitschließfächer. Hier waren sie richtig. Der Schlüssel aus Faltls Wohnung glich jenen, die in den offenen Türen steckten.
    Der Spind mit der Nummer 816 lag am Ende des Korridors. Das Fach wäre noch achtundzwanzig Tage lang verschlossen geblieben, danach hätte sich das Zeitschloss automatisch geöffnet und die Blechtür wäre aufgesprungen.
    Hogart sperrte die Tür auf. Darin befand sich lediglich ein Schnellhefter aus Pappkarton, prall gefüllt mit Dokumenten, die von einem Gummiband zusammengehalten wurden. Hogart klemmte sich die Mappe unter den Arm und schloss die Tür wieder. Allerdings ließ er den Schlüssel stecken. Ohne ein Wort zu verlieren, verließen Tatjana und er den Westbahnhof und überquerten den Mariahilfer Gürtel. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite lag das alte, fast schon kitschig traditionelle Kaffeehaus Tjurn Basilisken, in dem Hogart viel Zeit verbracht hatte, als er noch an der Filmhochschule studieren wollte. In den letzten Jahren führte ihn sein Weg nur noch hierher, wenn er ungestört an einem Fall arbeiten wollte. Das Klicken der Billardkugeln, der Qualm der Pfeifen und Zigarren, die schlurfenden Schritte des Kellners auf den knarrenden Holzdielen und das Klappern der Löffel in den Kaffeetassen regten seinen Geist an.
    Als Hogart noch ein Junge gewesen war, hatte ihm sein Vater erzählt, dass früher an der Stelle des Kaffeehauses eine Bäckerei mit einem tiefen Brunnenschacht gestanden hatte, in dem angeblich ein furchtbar hässliches Tier mit plumpen, warzigen Füßen gelebte hatte. Die mittlerweile schwarz gewordenen Holzschnitte an der Wand des Kaffeehauses zeugten von der Sage des Basilisken, dem das Lokal seinen Namen verdankte. Hogart und Tatjana saßen in einer der Nischen, während die Autokolonnen der Mariahilfer Straße an ihnen vorüberzogen. Hogart breitete die Unterlagen aus dem Schließfach vor sich auf dem Tisch aus: jede Menge Protokolle, Fotos, Notizzettel, medizinische Befunde und der zusammengerollte Negativstreifen aus einem Fotoapparat. Es würde einige Zeit dauern, bis er sich durch die einzelnen, teilweise

Weitere Kostenlose Bücher