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Die Engelsmuehle

Die Engelsmuehle

Titel: Die Engelsmuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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er auf dem Geröllboden ausrutschte oder über eine Wurzel stolperte und sich nicht rechtzeitig an einem Baum fing, konnte er Gift drauf nehmen, dass er wie der Teufel den Abgrund hinunterstürzen würde. Sollten doch Eichinger oder Garek dort runtersteigen und ihren Hals riskieren. Dann dachte er wieder an seinen Bruder und das Botox, das man ihm untergejubelt hatte. Er musste den wahren Mörder überführen - und das Unfallauto war vielleicht das erste Glied in der Kette einer langen Mordreihe.
    Als er die Böschung hinunterstieg, sich von Baum zu Baum hangelte und immer dichter in den Wald vordrang, roch er bald nur noch die Pilze und abgefallenen Föhrennadeln auf dem feuchten Erdboden. Der Geruch erinnerte ihn an die Wandertage der Schule. Wie hartnäckig doch manche Assoziationen waren. In den Wipfeln zwitscherten die Vögel. Weiter unten fiel das Sonnenlicht in Säulenform zwischen den Bäumen hindurch. Plötzlich dachte er daran, dass der Abstieg bestimmt leichter zu bewältigen war als der anschließende Aufstieg zu seinem Wagen. Doch er wollte nicht mehr umkehren, zu weit war er bereits den Abhang hinuntergestiegen. Er kletterte von einer Föhre zur nächsten, schürfte sich die Hände auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn, sodass ihm bald das Harz auf den Wangen klebte. Die Erdklumpen an seinen Schuhsohlen wurden immer dicker, und es dauerte nicht lange, da hing ihm das Hemd aus der Hose und der Schweiß lief ihm in Bächen über den Rücken. Der Abstieg hatte nichts mehr mit einem Wandertag gemeinsam.
    Eben noch dachte er, dass er ein verdammt sturer Hund war, der in diesem Moment gemütlich zu Hause sitzen könnte, als ihm die Füße davonrutschten. Er fiel rücklings hin, schlug mit dem Schulterblatt auf einen Stein, bekam nur die Nadeln des Asts neben sich zu fassen und begann in die Tiefe zu schlittern. Brüllend versuchte er, sich an einer Wurzel festzukrallen, doch er wurde immer schneller und überschlug sich fast. Er riss eine Lawine aus Kies und Erdbrocken mit sich und konnte nur noch die Arme schützend über den Kopf halten. Als er schon glaubte, in hohem Bogen die Schlucht zum Donauufer hinunterzufallen, krachte er mit voller Wucht gegen einen Baum. Der Aufprall drückte ihm die Luft aus den Lungen. Im ersten Moment rang er vergeblich nach Atem. Schließlich bekam er seinen Körper wieder unter Kontrolle. Er versuchte, seine Arme und Beine zu bewegen. Zum Glück war nichts gebrochen. Bis auf ein paar Blutergüsse und Prellungen war er noch glimpflich davongekommen. Zu beiden Seiten kullerten Kieselsteine an ihm vorbei. Dumpf hörte er einen blechernen Aufprall in unmittelbarer Nähe. Keuchend stemmte er sich hoch und blickte sich um. Doch sogleich sank er wieder mit weichen Knien zu Boden.
    Die Föhre, an die er sich klammerte, hing mit den Wurzeln in der Felsklippe. Hätte der Baum seinen Sturz nicht gebremst, wäre er im freien Fall die Felswand hinuntergesegelt. Nur ein Falke hätte seinen Flug beobachtet, der kreischend seine Runden über der Schlucht drehte. Für einen Augenblick verharrte der Vogel reglos in der Luft, ehe er sich in den Abgrund fallen ließ.
    Hogarts Hände zitterten. So eine leichtsinnige Aktion hatte er seit seiner Kindheit nicht mehr unternommen, als er mit seinem Bruder in Steinbrüchen herumgeklettert und in Höhlen gestiegen war. Als sie heimkamen, waren Kurts Knie meist aufgeschlagen, die Hosen zerrissen, aber er hatte die Schelte dafür kassiert. Damals war er zwölf gewesen, doch heute war er über vierzig und bis auf seine Joggingrunden keineswegs auf solche Ausflüge vorbereitet.
    Als er noch einmal mit wackeligen Knien in die Schlucht blickte, sah er etwa zwei Meter unter sich einen verbeulten schwarzen Mercedes in der Felsspalte hängen. Die Motorhaube war wie eine Ziehharmonika zusammengequetscht und hatte sich regelrecht zwischen den Felsen verkeilt. Einige Steine, die Hogart losgetreten hatte, lagen auf dem Kofferraum. Kein Wunder, dass den Wagen bisher niemand geborgen hatte. Das Auto konnte nur mit einem Hubschrauber aus der Schlucht transportiert werden. Allein die Aufgabe, zwei Leichen aus dem Wrack zu befreien, stellte ein lebensgefährliches Unterfangen dar.
    Hogart fragte sich, wie die Feuerwehrleute Ernest Bohmann und seine Frau aus dem Trümmerhaufen geholt hatten - und dann sah er die mit Karabinerhaken um die Bäume geschlungenen Seile, deren Enden in die Schlucht hingen. Daran hatte sich das Team wohl abgeseilt. Er beugte sich weiter

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