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Die Engelsmuehle

Die Engelsmuehle

Titel: Die Engelsmuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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von einem Waldstück zum nächsten führten, waren sie an den Grabstellen von Brahms, Nestroy, Schubert, Beethoven und den Komponisten der Straußfamilie vorbeigekommen, was einen Achtjährigen ungefähr genauso interessierte wie das Ergebnis der aktuellen Nationalratswahl. Hogarts Vater war wie ein wandelndes Kulturlexikon gewesen und hatte zu fast jedem Ehrengrab eine Geschichte erzählt. Mittlerweile war es nicht mehr so einfach, sich ein Grab auf dem Zentralfriedhof zu kaufen, und eine reine Prestigesache, in einer der vielen Familiengruften zu liegen.
    Nachdem Hogart eine knappe Dreiviertelstunde zwischen den Abteilungen des Friedhofs herumgelaufen war und stets das Bild seines Vaters vor Augen gehabt hatte, sah er von Weitem endlich die gelben Absperrbänder der Polizei. Zwei Totengräber hoben ein Grab aus. Neben der Steinplatte türmten sich bereits an die zwei Kubikmeter Erde auf. Der Farbe nach zu urteilen bestimmt Lehm. Gut für den Pathologen. Falls es verräterische Spuren an der Leiche gab, waren sie im Lehmboden bestens konserviert worden.
    Garek und Eichinger wandten Hogart den Rücken zu. Sie standen neben einer ausklappbaren Trage und jeder Menge Abdeckplanen. Auf der anderen Seite trat ein graumelierter Herr im dunklen Anzug von einem Bein aufs andere. Er reichte Hogart gerade mal bis zur Schulter. Vermutlich Bartoldi, der Gerichtsmediziner, der für Exhumierungen zuständig war und später die Obduktion vornehmen würde. Alle drei starrten in die Grube, als konnten sie kaum erwarten, endlich das Klirren zu hören, mit dem der Spaten auf den Sarg traf. Noch dazu zappelten Bartoldis Finger nervös hin und her. Man könnte meinen, er würde am liebsten selbst in die Grube springen, um den beiden Dilettanten den Spaten aus der Hand zu reißen.
    Unter einer alten Weide, einige Meter vor der Absperrung, saß Linda Bohmann im Rollstuhl. Mit der schwarzen Stola um die Schultern, dem breitkrempigen Damenhut und der Wolldecke über ihren Beinen wirkte sie wie eine trauernde Hofratswitwe neben ihrem Butler. Gelassen drehte sie am Griff ihres aufgespannten Regenschirms. Noch nieselte es nicht, doch am Horizont braute sich eine Gewitterfront zusammen. Hin und wieder neigte sie den Kopf, um mit Gomez zu reden, der mit hinter dem Rücken verschränkten Armen neben ihr stand. Die Szene sah beklemmender aus als eine Beerdigung.
    Als Hogarts Schuhe auf dem Kiesweg knirschten, warf sie einen knappen Blick über die Schulter. Sie erkannte ihn und lächelte sogleich. Doch das Lächeln war aufgesetzt. Im nächsten Moment erschlafften ihre Gesichtszüge. Sie sah schrecklich mitgenommen aus, als habe sie die ganze Nacht kein Auge zugetan. Offensichtlich ging ihr immer noch Faltls jahrelange Erpressung durch den Kopf.
    »So trifft man sich wieder«, sagte sie. »Ausgeschlafen?«
    Hogart nickte Gomez kurz zu und trat an Lindas Seite. »Ich habe den Cognac gestern Abend nicht allein getrunken, falls Sie das meinen. Die Flasche wartet immer noch auf uns - wenn einmal bessere Zeiten kommen.«
    Sie reichte Gomez den kleinen Damenschirm, der damit reichlich lächerlich wirkte.
    »Mein neuer Begleiter«, erklärte sie und versuchte erneut zu lächeln.
    Die Ausbuchtung unter der Achsel des Ermittlers war kaum zu übersehen. Einige Meter entfernt verbarg sich ein weiterer Beamter hinter einer Weide.
    »Stehen Sie unter Polizeischutz?«
    »Ja, ist das nicht lächerlich?«
    Hogart antwortete nicht darauf. In Wahrheit war es die beste Idee, die Garek und Eichinger bisher gehabt hatten.
    Hogart deutete zu den beiden Ermittlern, die neben dem Aushub standen und von ihrem Gespräch nichts mitbekamen. »Das Grab Ihrer Eltern?«
    Linda strich die Decke auf ihren Beinen glatt. »Angeblich gibt es wegen des Autounfalls einige Ungereimtheiten. Das ist doch völliger …« Sie hielt inne und betrachtete Hogart. »Sie stecken doch wohl nicht hinter dieser Sache, oder?«
    Offensichtlich zögerte Hogart zu lange mit seiner Antwort, denn Lindas Gesichtsausdruck änderte sich.
    »Ich hätte es wissen müssen.« Sie schüttelte den Kopf. »Was soll das?«
    »Können Sie mit absoluter Sicherheit behaupten, dass es nur ein Unfall war?«
    »Natürlich. Meine Eltern waren zu Silvester …« Sie senkte die Stimme. «… sturzbetrunken - peinlich genug.«
    Gomez trat hinter Linda, hob die Hand zum Mund und verdrehte dabei die Augen.
    Linda, die davon nichts mitbekam, erzählte weiter. »Mitten in der Nacht kam es - wie üblich, wenn Vater seine

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