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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Freund getroffen, und wir tranken einen Krug Bier und aßen eine Suppe im
Bremer Schlüssel
. So mag es etwa zwei Stunden gedauert haben, bis ich vor dem Haus meiner Wirtin bemerkte, dass ich den Schlüssel vergessen hatte. Um diese Stunde war die Druckerei natürlich längst abgesperrt, also würde ich Madame Boehlich herausklopfen müssen, damit sie mir aufschlösse. Das war unangenehm, aber es war viel zu kalt, um die Nacht draußen zu verbringen. Ich fand das Hoftor unverriegelt, was mich schon erstaunte, und aus der Druckerei kam ein matter Lichtschein. Ich dachte, es könne nur Madame Boehlich sein, und klopfte, aber Kloth öffnete, alles andere als erfreut, mich zu sehen.»
    «Und?», fragte Rosina. «Hat er erklärt, was er da tat? Mitten in der Nacht?»
    Hebbel besah sich mit zusammengekniffenen Augen den geschwärzten Satz und schüttelte den Kopf. «Er hat nichts gesagt, und mir stand nicht zu, den Faktor danach zu fragen. Ich holte nur rasch meinen Schlüssel und ging. Aber dann, als ich durch das Hoftor wieder auf die Straße trat, stand ein Mann davor. Als er mich sah, ging er rasch weiter. Kurz darauf drehte ich mich noch einmal um, daschob er gerade das Tor auf und verschwand in der Druckerei. Er muss hinter einer Ecke gewartet haben und zurückgekehrt sein, als er glaubte, dass ich weit genug weg war.»
    «Wie sah er aus?», fragte Rosina. «Habt Ihr ihn genau gesehen? Auch sein Gesicht?»
    «Natürlich, es war eine helle Nacht, beinahe Vollmond, und am Tor stand er direkt vor mir und blickte mich an. Er sah nicht besonders aus. Etwa so groß wie ich, vielleicht ein wenig größer, er war gut gekleidet, nicht reich oder aufwendig, aber gut. Den Dreispitz trug er unterm Arm, deshalb weiß ich, dass er keine Perücke trug, schon gar keine gepuderte, sein Haar wirkte in der Nacht dunkel, aber nicht schwarz. Ich denke, es ist eher hellbraun.»
    Wagner schnaufte. Wieder diese Beschreibung, die auf jeden Dritten passte.
    «Erst später fiel mir ein», fuhr Hebbel fort, «dass Kloth das Tor nicht hinter mir verriegelt hatte, was doch natürlich gewesen wäre. Das kann nur bedeuten, er hat den Mann erwartet und wollte nicht, dass der klopfte, weil es sonst jemand hätte hören können.»
    «Alles andere wäre auch dumm gewesen», sagte Rosina, «wenn er dort etwas gedruckt hat, von dem niemand wissen durfte. Nur um etwas zu besprechen, wäre jeder andere Ort unauffälliger gewesen.»
    «Und das ist alles, was Ihr von ihm wisst?» Wagner war enttäuscht. Er hatte mehr und Überraschenderes erwartet.
    «Ja. Das heißt   …», er zögerte und Wagner sah ihn streng an. «Ich bin während meiner letzten Hamburger Wochen noch einige Male in der Nacht durch den Valentinskampgegangen. Zufällig», beteuerte er, «ganz zufällig, und zweimal, vielleicht auch dreimal, glaubte ich Licht zu sehen. Aber ich war nicht sicher. Wenn das Tor geschlossen ist, erkennt man nicht genau, ob so ein matter Lampenschein aus der Druckerei oder aus einem der seitlichen Räume des Wohnhauses kommt. Das Hoftor war in diesen Nächten aber verschlossen. Natürlich hat es mich nicht zu kümmern, wann Madame Boehlich ihr Hoftor verriegelt», beeilte er zu versichern, «aber ein Tor sollte nachts nun mal verriegelt sein. Dazu ist es da.»
    «Sicher habt Ihr Madame Boehlich davon berichtet», sagte Wagner, «was hat sie gesagt?»
    «Nein.» Hebbel wandte sich ab und legte einen Bogen auf den Deckel, den die schwere Spindelschraube auf den Satz pressen würde. Er prüfte den papiernen Rahmen, der wiederum über den Bogen geklappt wurde, um die nicht zu bedruckenden Teile vor Schmutz und Farbe zu schützen, und drückte endlich Papier auf die Punkturen des Deckels und zuckte erschreckt zurück. Bevor er den Finger in den Mund stecken konnte, fiel ein kleiner Blutstropfen herab und begann langsam in das frische Papier zu sickern. Bendix Hebbel, stellten Rosina und Wagner für sich fest, wurde bei dem Thema Maria-Luise Boehlich nervös. Allerdings vermuteten beide einen sehr verschiedenen Grund.
    «Warum habt Ihr nichts gesagt?», fragte Wagner, und Rosina seufzte leise vor so viel Unverstand.
    «Weil es mich nichts anging. Kloth war ihr zukünftiger Ehemann, ich nur der dritte Geselle. Braucht Ihr noch mehr Gründe?»
    Wagner legte den Kopf schief und machte ein harmloses Gesicht. «Sicher war das auch gar nicht nötig. MadameBoehlich gehört die Druckerei, sie wird wissen, was ihr Faktor und zukünftiger Ehemann nachts darin tut. Gewiss hat

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