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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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herunterzieht, und ein Fetzen hängen bleibt?»
    «Einem Drucker passiert das kaum, obwohl so ein angefeuchteter Bogen natürlich behutsam zu behandeln ist. Es kommt auch auf die Qualität und Art des Papiers an. Wenn es recht dünn oder weich ist und wenn mandaran zerrt, zerreißt es schnell. Aber die Punkturen sind in der Mitte des Bogens, man muss sehr ungeschickt sein, damit an ihnen ein Fetzchen zurückbleibt.»
    «Oder sehr in Eile?»
    «Möglich. Aber ein ordentlicher Drucker   …»
    «Wenn es aber jemand versucht, der kein Drucker
und
in Eile ist?»
    Hebbel sah Wagner irritiert an. Er schien diese Frage ziemlich dumm und unnötig beharrlich zu finden.
    «Möglich ist letztlich alles, Weddemeister. Aber es ist unwahrscheinlich, umso mehr, als sich die – jetzt verstehe ich Eure Fragen. Ihr denkt, der Mann, der Kloth in jener Nacht getroffen und ihn sicher auch getötet hat, riss eilig einen Bogen aus der Presse, um ihn mitzunehmen.»
    Die Bänke in
Clifton’s Chop House
waren nur noch spärlich besetzt. Der Wirt hockte gähnend hinter seinem Schanktisch, blätterte lustlos in einem schon ziemlich zerfledderten und fettigen Exemplar des
Public Advertiser
und wartete darauf, dass die letzten Gäste endlich gingen. Schließlich hob er den Kopf, rief ‹Letzte Bestellung, Leute› und begann, ohne eine Antwort abzuwarten, einige Krüge mit Bier zu füllen. Zur letzten Runde wollten immer alle noch ein Bier.
    «Er hat also den Bogen mitgenommen, damit niemand entdeckt, was Kloth gedruckt hat», sagte Rosina, als der Wirt drei Bierkrüge auf ihren Tisch stellte. «Und Ihr wolltet Hebbel beim Drucken zusehen, um herauszufinden, ob das die Erklärung für das Fetzchen ist, das Ihr in der Presse gefunden habt?»
    «Und ob er unruhig wird, wenn ich ihn danach frage. Ja.»
    «Und? Seid Ihr zufrieden? Er war mächtig unruhig, aber ich denke, aus ganz anderem Grund.» Als Wagner schwieg, fuhr sie fort: «Ihr seid schrecklich, Wagner. Ich bin sicher, Ihr habt eine Vermutung, was das für ein geheimnisvolles Papier war, für das der Faktor sterben musste. Pamphlete gegen den Senat? Oder gegen die Kirche? Was kann da so gefährlich sein? In den amerikanischen Kolonien und auch in London wird ständig Aufruhr oder gar eine Revolution befürchtet. Aber doch nicht in Hamburg. Da gibt es immer wieder mal Unruhe bei den Handwerkern und Arbeitern, aber Pamphlete und Spottschriften, die ab und zu kursieren, haben schon längere Zeit niemanden ernstlich alarmiert. Müsste man dafür töten? Außerdem scheint er mit seinen nächtlichen Umtrieben gutes Geld verdient zu haben, wer verbotene Schriften drucken lässt, hat aber für gewöhnlich keines.»
    Wagner war anderer Meinung. Auch in Hamburg waren schon Männer aus der Stadt verbannt worden, weil sie die Autoritäten verspottet oder verunglimpft hatten, und Verbannte fanden nur selten irgendwo einen warmen Unterschlupf. Die Strafe bedeutete nicht nur ein einsames Leben in der Fremde, sondern meistens auch Hunger und Elend. Doch er war zu müde, um mit Rosina zu streiten. Ihr Verhältnis zur Obrigkeit unterschied sich viel zu sehr von seinem.
    «Nun sagt es endlich», fuhr sie schon fort, «und kommt mir nicht wieder mit Eurem Senator, der wird nie erfahren, ob Ihr es uns anvertraut habt. Senatoren gehören nicht gerade zu den engen Freunden von Wanderkomödianten.»
    «Eine Police», sagte Wagner mit einem Schnaufer. Er zog ein großes rotes Schnupftuch aus der Tasche undwischte sich seine Stirn, obwohl die nicht im Geringsten feucht war.
    «Wagner», rief Rosina hell auflachend, «wo ist Euer blaues Tuch? Wie könnt Ihr uns verwirren und nach all den Jahren zu einer so verwegenen Farbe wechseln?»
    «Verloren», murmelte er, «irgendwo verloren. Nun ja. Erinnert Ihr Euch, was bei MacGavin gedruckt wird?»
    «Alles außer Zeitungen, hat Hebbel gesagt. Bücher, Visitenkarten, Theaterzettel, Register für den Magistrat, Billetts, Warenlisten, Kataloge von Sammlungen – was noch?»
    «Policen», sagte Wagner wieder und erklärte: «Verträge für Assekuranzen. Die Formulare werden gedruckt und die einzelnen Vereinbarungen mit der Feder eingefügt. Ich hätte es viel schneller begreifen müssen und nicht erst, als Hebbel sagte, dass MacGavin Policen druckt. Da ist es mir schlagartig klar geworden: Der Kerl, den ich in London suche, ist der gleiche, der den Faktor getötet hat. Weil der Faktor die Formulare gedruckt hat.»
    «Wieso denn? Ich verstehe nicht das Geringste von

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