Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
während der kurzen Zeit zwischen dem Mord in der Boehlich’schen Druckerei und der Abreise nach London sei er diesem Verdacht auch nachgegangen. Allerdings habe es keinerlei handfeste Hinweise gegeben, leider. Niemand habe den Drucker in jener Nacht in der Nähe der Druckerei gesehen.
    Auch habe die Wirtin erklärt, Hebbel sei schon am Tag vor dem Mord nach London abgereist, aber tatsächlich gesehen hatte sie nur, wie er das Haus verließ. Lauter Ungewissheiten, die Hebbel nicht von jedem Verdacht freisprachen. Doch habe ihn das nicht kümmern dürfen, er musste sich endlich seinem eigentlichen Auftrag zuwenden.
    «Tatsächlich der Suche nach van Wittens Münzen? Erzählt mir nicht, es ging dem Senator vor allem um das Glück der Patentochter seiner Frau.»
    «Ja und nein. Ich meine, die Münzen sind sehr wertvoll, aber sie sind auch die Spur, der ich zu einem anderen Ziel folgen soll. Sozusagen. Wenn Ihr erlaubt   …» Er steckte wieder einen Bissen Fleisch in den Mund und schob ein in Bier getauchtes Stück Brot nach. «Ich musste ihre bedauernswerte Mutter befragen», nuschelte er kauend, «eine sehr traurige Angelegenheit, und ihre Freundin, alle, die etwas über ihre Pläne, ihren Aufenthalt und ihren Begleiter wissen mochten. Es waren nicht viele und niemand wusste mehr als das, was der Senator schon berichtet hatte. Sehr unerfreulich, in der Tat.»
    Muto legte Messer und Gabel auf seinen Teller, berührte Rosinas Ellenbogen, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, und versuchte auf seine Weise etwas zu fragen. Doch er war zu ungeduldig, er griff nach Wagners Bleistiftstummel und einem der Zettel, die neben dessen Teller auf dem Tisch lagen, kritzelte rasch einige Worte und schob ihn Wagner über den Tisch.
    «Weil man nie wissen kann», erklärte Wagner, nachdem er den Zettel nahe an die Kerze gehalten und die Frage entziffert hatte. «Der Verbrecher an sich ist unberechenbar, und selbst mit viel Erfahrung, die in meinem Gewerbe unerlässlich ist, absolut unerlässlich, ja, kommt es vor, dass man irrt. Das ist bedauerlich, aber wahr.»
    «Was steht auf dem Zettel?», rief Rosina. «Was hast du gefragt, Muto?»
    «Er will wissen, warum ich so heftig an die Tür der Druckerei gehämmert habe, wenn ich Hebbel für», er beugte sich mit zusammengekniffenen Augen wieder über den Papierfetzen, «wenn ich ihn für unbedeutend hielt. Wie ich schon sagte, weil man nie wissen kann. Was die Wirtin versichert hatte, wog nicht schwer. Sie hatte ihn vor ihrer Tür verabschiedet, sie hatte aber nicht gesehen, ob er auf das Schiff gegangen war, erst recht nicht, ob er darauf geblieben war, bis es ablegte. Er hätte leicht wieder an Land gehen und mit einem anderen fahren können. Oder die Postkutsche nach Holland nehmen und von Hellevoetsluis nach England übersetzen.»
    Als Wagner in die Henrietta Street zurückkehrte und Helena ihm vorhielt, Rosina sei mit Muto zu Hebbel in die Druckerei gegangen, warum er das zulasse, schließlich sei er der Weddemeister und Rosina nur eine Komödiantin, fühlte er sich zu Unrecht gekränkt.
    Weil sie ihm nichts davon gesagt habe, murmelte er, drehte sich auf dem Absatz um, und in der Hoffnung, Karla sei in guter Obhut, machte er sich auf den Weg in die Ave Maria Lane.
    Helena sah ihm verblüfft nach. Wagners Stimme hatte sich beinahe nach aufgebrachtem Knurren angehört. Das Leben fern von Amt und Senator zeigte ungeahnte Wirkungen.
    Je länger Wagner die Straßen entlanghastete – eine Gangart, die er gar nicht liebte   –, umso unruhiger wurde er. Vielleicht lag es nur an dem sich beständig verdüsternden Himmel. Als er schließlich Muto traf, der ihn auf der anderen Straßenseite überholt haben musste, und auch noch die Tür zur Druckerei verschlossen war, fand er höfliches Klopfen nicht mehr angemessen. Seit er Karla kannte, neigte er dazu, sich allzu schnell zu sorgen, eine sehr lästige Eigenschaft, die er leider nicht nur auf seine junge Ehefrau beschränken konnte. Seine Liebe zu ihr erschien ihm wie ein beglückendes Wunder, dass sie eine Kehrseite haben könnte, nämlich die seit seiner wenig erfreulichen Kindheit verschüttete fürsorgliche Seite seiner Seele neu zu beleben, traf ihn völlig unerwartet.
    Rosina so vergnügt zu sehen, besserte seine Stimmung nur gering. Er marschierte grimmig in die Druckerei, und als sie Muto und ihn vorstellte, mit Namen und Amt, erkannte er mit Befriedigung Hebbels Beunruhigung.
    «Ihr müsst denken, ich wollte Euch übertölpeln»,

Weitere Kostenlose Bücher