Die englische Episode
Urteil über den Faktor nicht gerecht bin. Ich mochte ihn nicht, aus vielerlei Gründen. Aber tatsächlich gibt es da zwei», er zögerte, «zwei befremdliche Dinge. Während der letzten Wochen, vielleicht auch während der letzten zwei oder drei Monate, schien er mehr Geld zu haben, als es für einen Faktor gewöhnlich ist. Er ließ sich neue Kleider machen, und zwar von dem Schneider in der Caffamacherreihe, der nur teure Stoffe verwendet und einen so saftigen Lohn verlangt, dass er kaum Leute unserer Art zu seiner Kundschaft zählt.»
«Vielleicht hatte er etwas geerbt», wandte Rosina ein.
«Oder in der Lotterie gewonnen», sagte Wagner.
«Vielleicht. Aber das hätte sich gewiss herumgesprochen. Vor allem ist da aber eine andere Sache. Ihr habt gesagt, Mademoiselle Hardenstein, dass er in der Nacht von Sonntag auf Montag in der Druckerei getötet wurde. Ihr habt auch gesagt, Madame Boehlich habe es zunächst für unwahrscheinlich gehalten, dass er zuvor etwas gedruckt hat, weil sie nicht versteht, warum er bei Nacht, insbesondere am Sonntag, wo alle Arbeit zu ruhen hat, an der Presse stehen sollte.»
«Er hat trotzdem gedruckt», unterbrach ihn Wagner. «Die Wanne mit der Druckerschwärze war nicht sauber, und an einigen der Lettern, die auf dem Boden verstreut lagen, klebte noch Farbe. Madame Boehlichs Altgeselle schwört, als er am Sonnabend die Druckerei verließ, war alles sauber und aufgeräumt.»
«Auf Hachmann könnt Ihr vertrauen», versicherte Hebbel, «und solange ich dort gearbeitet habe, war es tatsächlich nie anders. Ohne Sauberkeit gibt es nun mal keinen guten Druck. Hingen denn keine Bögen zum Trocknen auf den Leinen?»
«Zum Trocknen? Auf welchen Leinen?»
«Wenn Ihr sie nicht gesehen habt, waren keine da. Ihr hättet sie sonst bemerkt. So wie dort», er wandte sich um und zeigte auf die knapp unter der Decke gespannten Leinen am anderen Ende des Raumes, über denen lückenlos Papierbögen hingen. «Dies ist eine große Druckerei, die Leinen, die Ihr hier seht, reichen nicht aus, es gibt einen weiteren Raum, in dem die frischen Drucke getrocknet werden. In der Boehlich’schen gibt es nur die Leinen in dem Raum, in dem auch gedruckt wird.»
Wagner nickte und versuchte sich zu erinnern. DieLeinen hingen hoch, um die Männer bei der Arbeit nicht zu stören, das würde in Hamburg kaum anders ein. Dennoch, die Bögen, die hier auf den Leinen hingen, hatte er sofort bemerkt. In Hamburg war er am Schauplatz eines Mordes besonders aufmerksam gewesen. Hätten dort Bögen gehangen, so hätte er sie zweifellos gesehen.
«Könntet Ihr uns das Drucken zeigen?», fragte er Hebbel plötzlich. «Demonstrieren, sozusagen. Ich möchte gerne sehen, wie es vor sich geht.»
«Natürlich. Das wollte ich gerade tun, als Ihr kamt. Mademoiselle Hardenstein möchte es auch sehen. Es ist zwar schon recht dämmerig, aber mit den Lampen wird es noch gehen.»
«Ihr wolltet uns noch etwas anderes von Kloth sagen», erinnerte Rosina, «die teuren Kleider waren das eine. Was war das andere?»
Hebbel trat an die Presse, befestigte die Druckform mit dem Schriftsatz auf einer Karren genannten beweglichen Platte, griff nach zwei Druckerballen, jede mit Rosshaar prall gefüllt und an einem Holzgriff befestigt, und tunkte den ersten leicht in die Druckerschwärze. Als er sie – immer noch schweigend – gegeneinander rieb, um die Farbe dünn und gleichmäßig auf dem Hundeleder zu verteilen, wippte Wagner ungeduldig auf den Fußspitzen.
«Das andere», mahnte er schließlich, «was war das andere, das Ihr uns von Kloth sagen wolltet?»
«Das andere, ja.» Er begann die Lettern mit den beiden eingefärbten Ballen zu betupfen, behutsam, damit keine kleben blieb und herausgezogen wurde. «Das macht natürlich sonst der Ballenmeister», murmelte er, «wir Drucker drucken nur. Aber ja, das andere. Die Nacht, in der er starb, war nicht die einzige, in der er in der Druckereiwar. Ich weiß nicht genau, wann ich ihn dort antraf, wahrscheinlich Ende März, Madame Boehlichs Tulpen steckten schon die Spitzen aus der Erde, aber es war noch ziemlich kalt. Meine Wirtin besuchte für einige Tage Verwandte, so hatte ich selbst den Hausschlüssel, ein großes altes Ding, sehr schwer. Ich legte ihn tagsüber in einen Schrank im vorderen Lagerraum der Druckerei, damit er mich nicht bei der Arbeit störte. An einem Abend habe ich ihn vergessen, also ging ich zurück zum Valentinskamp. Nicht sofort, auf meinem Heimweg hatte ich einen
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