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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Segen. Ein solches Mädchen zu heiraten! Hat keine Eltern, keine Familie, und wie lange hat sie im Spinnhaus gesessen? Nur ein paar Wochen, ach so, ich verstehe trotzdem nicht, warum der Senator die Zustimmung gegeben hat. Das macht keinen guten Eindruck, wenn der erste Weddemeister mit einer aus dem Spinnhaus, na ja, mich geht das nichts an. Der arme Wagner. Was dieses Mädchen noch nicht konnte, hat sie im Spinnhaus gelernt, wo da all die jungen Meisterdiebinnen einsitzen, flinke Finger allesamt, unverbesserlich, und die Moral   …»
    So wäre es noch geraume Zeit weitergegangen, die Krögerin brauchte nicht mal ein Päuschen, um Luft zu holen, wenn Rosina nicht gefunden hätte, es sei nun wirklich genug. Sie hatte selbst die Stirn gerunzelt, als sie hörte, Wagner wolle Karla heiraten. Aber ein Jahr in Mattis Haus bedeutete nicht nur eine gute Schule, sondern war auch die beste Prüfung. Matti sah mehr als die meisten.
    «Nun gut», seufzte die Krögerin schwer und verschränkte wohlig die Arme unter ihrem mächtigen Busen, «hübsch ist das Mädchen ja, und Wagner wird schon auf sie Acht geben. Aber so ein Todesfall am Tag der Hochzeit, ich weiß nicht, das kann kein gutes Omen sein. Aber was erzähle ich Euch von dieser schrecklichen Geschichte bei den Boehlichs, während Ihr gestern selbst an der Quelle wart. Was hat Meister Wagner erzählt? War der arme Faktor sehr blutig zugerichtet?»
    «Da müssen wir Euch enttäuschen, Madame Kröger.» Helena zeigte eine angemessen zerknirschte Miene. «Wagner hat kein Wort gesagt, nicht einmal, dass es einen Mord in der Stadt gegeben hat. Das erfahren wir erst von Euch. Er kam ein wenig spät zur Trauung in die Kirche, aber er hat nur gesagt, dass sein Amt ihn aufgehalten habe, was wir ihm nicht geglaubt haben. Alle dachten, er habe verschlafen. Auch Wagners Weddeknecht hat nichts davon erzählt, Grabbe kam noch später, als im
Bremer Schlüssel
schon die Fleischplatten aufgetragen wurden.»
    «Verschlafen! Am Tag der eigenen Hochzeit!» Die Krögerin schüttelte mit Bedenklichkeit den Kopf. «Auch das ist kein gutes Omen, gar kein gutes Omen.» Dann fuhr sie munter fort: «Aber er hat ja nicht verschlafen. Er war schon morgens um halb acht in der Boehlich’schen Druckerei und tat seine Pflicht. Ein wirklich braver Mann. Kennt Ihr eigentlich Madame Boehlich? Dann   …»
    «Ja», sagte Rosina, «wir lassen unsere Theaterzettel immer bei Boehlichs drucken. Ich habe deshalb zweimal mit ihr in ihrem Kontor gesprochen. Oder sogar dreimal? Ihren Mann kannte ich nicht, aber sie ist eine nette Frau.» Luise Boehlich war nicht nur freundlicher als die meisten gewesen, mit denen die Komödianten zu verhandeln hatten. Bei Rosinas letztem Besuch hatte sie viele Fragen über das Leben auf dem Theater gestellt, die mehr als gewöhnliche Neugier auf die von den Bürgern beargwöhnte Freiheit verrieten. Sie fragte nach den Gefahren auf den Straßen, aber auch wie die Flugwerke gebaut seien, wie man es so erschreckend donnern lasse oder wieso ein Akteur auf der Bühne tatsächlich blute, obwohl es doch nicht sein könne, dass ein Dolch ihn wirklich getroffen habe. Madame Boehlich verbarg hinter ihrer beherrschtenFassade Sehnsüchte, die kaum in eine Druckerei am Valentinskamp passten. Rosina hatte das gut gefallen.
    «So? Ihr kennt sie?» Die Krögerin machte ein enttäuschtes Gesicht. «Macht nichts», fuhr sie eifrig fort. «Madame Helena kennt sie nicht, und ich muss Euch unbedingt etwas erzählen, Ihr müsst versprechen, es niemandem sonst zu sagen, diese arme Frau!, Ihr wisst ja selbst am besten, wie schnell die Leute Übles denken   …»
    Madame Boehlich, so erfuhren Helena und Rosina nun, war die zweite Frau des Druckereibesitzers gewesen. Die erste war nach langer Ehe kinderlos gestorben. Aus geringem Anlass, ein scharfer Stein schnitt ihr bei der Arbeit im Garten tief in die Hand, sie bekam Wundfieber und starb wenige Tage danach unter schweren Krämpfen. Es hatte allerlei Gerede gegeben, aber Boehlich war ein angesehener Mann und über jeden Zweifel erhaben. Dass er Luise bald darauf heiratete, war nur natürlich, sie war eine Nichte seiner ersten Frau und ihm lange vertraut.
    «Der Altersunterschied?», antwortete sie auf Rosinas Frage. «Was sind da zwanzig Jahre? Eine junge Frau ist nur klug, wenn sie in ein gut geführtes Haus und Geschäft einheiratet. Und Ihr könnt jeden fragen, die Ehe war besser als viele, die auf rosigen Wolken begannen. Als Abraham Boehlich im

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