Die englische Episode
letzten Jahr starb, war Luises Trauer tief. Ja, und Abraham hat alles geregelt, damit sie nach seinem Tod versorgt ist. Auch die Kinder natürlich, Conrad, alle nenne ihn nur Onne, was ich gar nicht gut finde, wie klingt denn das: Onne?, der Junge ist nun acht, das Mädchen, Lille, sechs Jahre alt. Liebe Kinder, hübsch wie die Mutter. Die beiden haben so gar nichts von Abraham, aber ich will nichts gesagt haben. Luise Boehlich,immer in die Kirche und ehrbar und so etepetete! Meister Schröder, der Bäcker aus dem Valentinskamp, hat gesagt, Conrad werde nun bald die Lateinschule besuchen, und auch Lille lerne schon lesen und schreiben. Wohin soll so was führen?»
Madame Krögers flinke Augen entdeckten einen Anflug von Unwillen in Rosinas Gesicht, sie erinnerte sich an deren vornehme Herkunft und Bildung und beeilte sich, endlich zu den wirklich interessanten Neuigkeiten zu kommen.
Abraham Boehlich, berichtete sie, hatte auf dem Sterbebett bestimmt, seine Frau solle nach der angemessenen Trauerzeit Cornelis Kloth heiraten. Was noch nichts Besonderes, sondern guter Brauch war. So bekomme ein Haus schnell wieder einen zuverlässigen Herrn und die Druckerei einen fähigen Meister.
«Das ist natürlich alles sehr traurig, Madame Kröger, aber Madame Boehlich kann doch nichts dafür, dass sie ihr Versprechen nun nicht mehr einlösen kann. Es sei denn, Ihr wollt andeuten, sie habe selbst …»
«Gütiger Herr im Himmel, was für ein Gedanke.» Die Krögerin schlug aufschnaufend die Hände zusammen. «Nein, natürlich nicht. Niemals. Es hätte auch gar keinen Sinn gemacht. Bendix ist abgereist, erst vor wenigen Tagen zwar, aber weg ist weg. Nun steht sie ganz allein da mit den Kindern, dem Haushalt und der Druckerei. Wenn Bendix das gewusst hätte, wäre er bestimmt nicht …»
«Halt!», rief Rosina. «Wer ist Bendix? Bis jetzt hatten wir Abraham, den verstorbenen Gatten, Onne, der eigentlich Conrad heißt, und Cornelis, den man tot in der Druckerei gefunden hat. Nun auch noch Bendix?»
An dieser Stelle beschloss die Krögerin, dass es höchste Zeit für eine Tasse Kaffee sei, eilte in ihr Haus, und Rosina und Helena blieb nichts, als ihr zu folgen. In ihrer Küche legte die Krögerin ein kostbares Buchenscheit nach und blies in die Glut, bis die Flammen aufloderten und der Wasserkessel, der immer über dem Feuer hing, schon beinahe zu summen begann. Sie schüttete eine ordentliche Portion der am Morgen gerösteten Kaffeebohnen in einen Mörser, und während sie dessen wohl duftenden Inhalt energisch zerrieb, erzählte sie weiter.
Als sie schließlich mit erwartungsvollem Triumph die beiden Frauen ansah, hatte Helena Mühe, ihre Enttäuschung zu verbergen. Es war einfach nur die immer gleiche alte Geschichte: Eine höchst ehrbare, gut situierte Witwe verlobt sich mit einem Mann, den sie nicht gerade mit jugendlicher Leidenschaft liebt, aber doch schätzt und als vernünftige Partie empfindet. Die Hochzeit ist geplant, alle sind zufrieden – bis die Witwe einen neuen Gesellen einstellt, einen hübschen jungen Mann, der sich auf sein Handwerk versteht, aber auch auf sanfte Worte und tiefe Blicke – und schon gerät der schöne Plan vom Leben, in dem alles seine Ordnung und gute Sitte hat, aus den Fugen.
Immer dieselbe alte Geschichte, und das, so fand Helena, spielten sie auf ihrer Bretterbühne alle Tage und zumeist viel dramatischer und auch amüsanter als im wahren Leben. So hoffte sie, wenigstens das Verschwinden des heimlich geliebten Gesellen berge ein hübsch fatales Geheimnis.
«Und dieser Bendix?», fragte sie. «Dieser neue Geselle ist einfach so verschwunden? Bei Nacht und Nebel?»
«
Das
wäre ein Skandal gewesen! Nein, Madame Boehlichist eine ehrenwerte Frau. Und diskret. Schrecklich diskret sogar», wiederholte sie mit einem tiefen Seufzer, der verriet, wie viel Mühe und Umwege es sie gekostet hatte, die Geschichte von Madame Boehlichs unglücklicher Liebe herauszubekommen. «Natürlich hat sie ihr Versprechen nie in Zweifel gezogen, ich bitte Euch!, ein Versprechen, das man am Sterbebett gibt und nicht hält! Wenn das kein Unglück bringt, was dann? Sie hat sich gar nichts anmerken lassen, aber Bendix, so hieß es, machte plötzlich andere Pläne und sie entließ ihn aus seinem Vertrag. Dabei wurde er in der Druckerei dringend gebraucht, gute Drucker sind schwer zu bekommen, und bei den Boehlichs arbeiten seit jeher nur die besten.»
Endlich kochte das Wasser. Sie griff nach der großen
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