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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Sie können uns aus ihrer Stadt werfen, sonst kann uns niemand etwas befehlen.»
    Jean, gewöhnlich nicht um schnelle Antworten verlegen, hatte sie verwirrt angesehen. Wann wurde ein Wanderkomödiant um etwas anderes ins Rathaus gebeten, als um saftige Abgaben zu zahlen oder Verweise entgegenzunehmen? Ihm war die Bitte des Senators, die tatsächlich mehr nach einem Befehl geklungen hatte, wie ein Ritterschlag erschienen.
    «Ich dachte, du magst Wagner. Warum willst du nicht, dass er mit uns reist? Und sag mir, wie sollte ich das Anliegen eines Senators ablehnen? Besonders des Weddesenators, der uns sehr wohl größten Verdruss bereiten kann. Wagner ist ein guter Begleiter. Und Karla? Natürlich kann er sie nicht hier lassen. Wir finden schon etwas für sie zu tun, damit sie auf keine dummen Gedanken kommt oder dem Mond entgegenspaziert. Im Übrigen kann es nicht schaden, in einem fremden Land einen Weddemeister in der Nähe zu haben. Wenn er auch in geheimer Mission reist, hat er für den Notfall sicher ein Schreiben mit dem Siegel seines Senators in der Tasche.»
    Auch halte er es für recht vergnüglich zu erleben, wie der Weddemeister dieses verloren gegangene Mädchen mit seinem Galan und der Münzsammlung suche und – daran hegte er nicht den geringsten Zweifel – finde. Dabei reckte er die Schultern in seiner liebsten Heldenpose, die Rosina bewies, dass er sich schon selbst als Retter der betrogenen Unschuld sah. Genau das hatte sie befürchtet.
    Sie gab schnell auf. Alle waren dafür, Wagner und Karla für einige Zeit in die Gesellschaft aufzunehmen.
    «Warum nicht?», hatte Helena nur gesagt. «Er ist ein freundlicher Mensch und zahlt Kostgeld. Karla kann Gesine bei den Kostümen helfen, Matti hat ihr sicher auch das Nähen beigebracht.»
    Warum dachte nur niemand daran, dass Wagner in dieser großen Stadt, von deren Sprache er nur wenig verstand, ständig auf ihre Hilfe angewiesen sein würde?
    ‹Was für eine absurde Idee›, dachte sie, als das Boot unter einem der vielen Bögen die London Bridge passiert hatte, ‹einen Weddemeister samt Ehefrau auf eine solche Reise zu schicken.› Nur um ein entflohenes Mädchen und ein paar alte Münzen zu suchen, die kaum mehr wert sein konnten als die beiden neuen Pferde in van Wittens Stall. Senator van Witten galt als kluger Mann. Entweder war das eine fabelhafte Täuschung – oder Wagner wusste mehr, als er ihnen anvertraut hatte.
    Rosina hielt die Nase in den Wind. Sie sah Wagner an, und plötzlich lächelte sie.
    ***
    Der Lärm war ohrenbetäubend. Die Stimmen der Männer und einiger Frauen, die sich um die Arena in der Mitte der Scheune drängten, es mochten sechs oder sieben Dutzend sein, klangen längst heiser, vom Gin und Bier, vom Tabak und vor allem von ihrem Gebrüll. Der Rauch von Talgkerzen und aus vielen Pfeifen schwängerte die Luft und vermischte sich mit den Ausdünstungen der Menschen und dem darüber liegenden ekligen Geruch von tierischen Exkrementen und Blut. Es roch nach Krieg, und das feuerte die Menge um die Arena und auf der Galerie an. Da andere diesen Krieg für sie fochten, berauschtensie sich im sicheren Zusehen mit umso größerer Begeisterung.
    Die Kämpfe in Jack Daniels’ Scheune auf den Tothill Fields währten nun schon zwei Stunden. Zuerst waren die Hähne in die Arena geschickt worden. Kampfwütige Tiere, eigens für diesen Zweck in der Cock Lane nahe dem großen Viehmarkt auf dem Smithfield gezüchtet. Der erste Kampf war besonders amüsant gewesen. Einer der beiden Hähne, ausgerechnet der Favorit, die Wetten auf ihn standen hoch, erwies sich als feiges Vieh. Als sein gefiederter Gegner mit den stählernen Sporen das erste Stück Fleisch aus seiner Brust hackte, floh er mit wildem Krähen und Flattern über die Brettereinfassung und landete im Schoß einer Dame, die keine war. Sie ließ ihre Pfeife fallen, griff blitzschnell das blutende Tier und warf es zurück. Die Wirtin vom
Ducks and Dogs
war fliehendes Federvieh gewöhnt, ob vor ihrem Beil oder einem Kontrahenten, das war egal. Sie griff immer fest zu.
    Der Kampf währte nicht mehr lange, der tote Verlierer verschwand in einem Sack, neue Wetten waren schnell abgeschlossen, und der nächste Hahn wurde in die Arena geschickt. Dann folgte der nächste, wieder der nächste, bis der letzte, blutig, zerrupft und lahm, als Sieger übrig blieb.
    An diesem Abend machten die Hähne nur den Anfang, so blieb es bei sechs Runden. Im Royal Cockpit im St.   James Park, so wurde in

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